Foto-Howto: Saturday Night Fever im Spinnenland

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Foto-Howto: Saturday Night Fever im Spinnenland

Do., 08/08/2024 - 20:32
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Spinnenglitzer: Der Herbst in Farbe

Von Inga Edel und Uli Vogl
Der Herbst bringt uns nicht nur bunte Blätter, sondern auch ein faszinierendes Schauspiel: die Spinnenzeit! Jetzt, am Ende des Sommers, weben die Spinnen ihre Netze in Perfektion, und die tief stehende Sonne lässt ihre filigranen Kunstwerke in allen Regenbogenfarben glitzern. 
 

E-M1MarkII; Olympus 60 mm 2.8; f/4.0; 1/640s; ISO 200; Foto Inga Edel

Kreuzspinne in ihrem natürlichen Lebensraum – durchflutet vom Licht, das kleine Fluginsekten anzieht, die dann in den filigranen Fäden des Radnetzes hängen bleiben.
Aus ästhetischen Gründen horizontal gespiegelt.

Die niederländische Fotograf Rob Blanken hat diese zauberhaften Momente meisterhaft eingefangen – und das hat uns inspiriert!

Ich erinnere mich an meine ersten Versuche, diese Magie ebenfalls einzufangen. Die Ergebnisse waren eher bescheiden, aber mit ein bisschen Übung und viel Geduld hat es schließlich geklappt. Selbst Uli, unser Physik-Enthusiast, wurde vom Spinnenfieber gepackt! In diesem Foto-Howto verraten wir euch, wie auch ihr diesen schimmernden Effekt einfangen könnt. Und wie so oft gibt es nicht nur einen Weg zum Erfolg.
 

Canon EOS 6D Mark II; Canon EF 100mm f2.8; f/2.8; 1/2500s; ISO 200, Foto Susanne Großnick

Es müssen nicht immer Radnetze sein. Eine knapp einen Zentimeter große Baldachinspinnendame hängt unter ihrem Baldachin-Netz und lauert auf Beute.

Was braucht ihr?

Die harte Tour

  • Ein schönes Spinnennetz samt Spinne
  • Ein modernes Makroobjektiv (oder ein Vintage-Objektiv)
  • Sonnenschein
  • Ein bisschen Gelenkigkeit und eine biegsame Halswirbelsäule

Die Durchführung

Die erste Herausforderung ist, ein Netz zu finden, das im perfekten Winkel zur Sonne steht. Das kann ein Radnetz sein oder auch ein Baldachinnetz. Am besten ist es, wenn das Netz auf Augenhöhe hängt – das ist leider eher selten. Und wenn die Spinne dann auch noch perfekt sitzt, ist das wie ein Sechser im Lotto!

Jetzt zur Technik: Stellt die Kamera in einem sehr steilen Winkel von unten so ein, dass das Netz zwischen Objektiv und Sonne liegt. Ihr fokussiert also fast in die Sonne. Der Hintergrund sollte möglichst dunkel sein, um die Lichtbrechung in den Spinnenfäden zur Geltung zu bringen. Blendet die Kamera um etwa zwei Stufen ab, um die Helligkeit zu reduzieren. Ein modernes Makroobjektiv eignet sich am besten, da es besser mit Streulicht umgeht, aber auch Vintage-Objektive können tolle Ergebnisse liefern.

Die richtige Position zu finden kann akrobatisch werden – manchmal braucht es ein bisschen Verrenkung. Habt Geduld und probiert verschiedene Winkel aus, bis ihr die Lichtbrechung im Netz entdeckt. Fokussiert manuell auf die Spinne, am besten auf die Augen. Manchmal sind auch die vorgestreckten Beine ein tolles Motiv.

Achtet darauf, das Netz oder die Gräser, an denen es befestigt ist, nicht zu berühren. Ein kleiner Windstoß oder eine Berührung kann das Netz zerstören oder auch interessante Effekte erzeugen, wenn es im Wind tanzt.
 

M1MarkII; Olympus 60 mm 2.8; f/3.5; 1/400s; ISO: 200; Foto Inga Edel

Die Netze sind immer Zufallstreffer. Dieses Netz flatterte im Wind und die Spinne lief hin und her. Schon eine kleine Lageänderung ergibt eine neue Perspektive.

Die Tour des Physikers

  • Ein schönes Spinnennetz samt Spinne
  • Ein modernes Makroobjektiv (oder ein Vintage-Objektiv)
  • Schwarzer Karton, Schirm oder ähnliches als dunkler Hintergrund
  • Eine LED-Lampe (EC 65 von ACEBEAM. Die hat einen hohen Ra-Wert, und somit eine gute Farbwiedergabe. Außerdem ist der Strahl sehr hell und gut gebündelt) als künstliche Sonne
  • Evtl. Stativ/ Makroschlitten
     

Nachgestellt auf dem Balkon. Uli hat dabei die Spinne samt Netz mit einer Drahtschlinge "mitgenommen" und das Ganze auf dem Balkontisch in einem Stativ befestigt. Mit etwas Glück baut die Spinne dann die nächsten Tage immer wieder ein neues Netz in denselben Ring, und man hat mehrere Chancen auf ein gutes Foto. Sehr praktisch auch ein Fernauslöser (linke Hand), dann kann man mit der anderen Hand die Taschenlampe hin- und herbewegen, um den optimalen Winkel zu finden und verschiedene Ergebnisse zu bewerten. Sehr nützlich auch eine Streulichtblende für das Obi, da man sonst zu häufig ungewollte Flares etc. bekommt. Foto Uli Vogl

ILCE-1; Meyer Görlitz Domiplan 50mm, f/2.8; 1/100s; ISO 100; Foto Uli Vogl

Haben sich gegen Nachmittag schon ein paar Pollenkörner im Netz gesammelt, gehen die Lampions an!

Die Durchführung

  1. Dunklen Hintergrund hinter das Netz positionieren (zum Beispiel einen schwarzen Schirm)
  2. Kamera im flachen Winkel (ca. 20°) von unten ansetzen und auf die Spinne fokussieren
  3. Mit der LED-Lampe von vorne, oben im Winkel von etwa 45° anstrahlen und verschiedene Positionen ausprobieren

Tipps:

  1. Wählt ein kleines, dicht gewobenes Spinnennetz
  2. Reduziert die Belichtung um ca. zwei Stufen
  3. Bei leichtem Wind hilft "Dauerfeuer" und anschließende Selektion der besten Bilder

    Übrigens: Spinnen gibt es nicht nur im Herbst, auch im Frühjahr und Sommer sind sie zu finden. 
     

E-M1MarkII; Olympus 60 mm 2.8; f/4.0; 1/160s; ISO 200; Foto Inga Edel

Gute Fundorte sind Wegränder, die Spinnen sitzen z.B. gerne auf den Samenständen des Gemeinen Rainkohls (Lapsana communis). 

Ein bisschen Physik

Die Lichtbrechung und -beugung in den Spinnennetzen erzeugt ein spektakuläres Farbenspiel. Das Sonnenlicht wird an den klebrigen Spinnenfäden in seine Spektralfarben zerlegt, wobei die Lichtwellen je nach Wellenlänge unterschiedlich stark abgelenkt werden. Dies führt zu leuchtenden Farben wie Rot, Grün und Blau, die sich je nach Betrachtungswinkel ändern. Wer mehr darüber wissen möchte, kann sich hier weiter informieren: Lichtbrechung und -beugung an Spinnennetzen

E-M1MarkII; Olympus 60 mm 2.8; f/3.2; 1/1000s; Belichtung -1.7; ISO 200; Foto Inga Edel

Nachbearbeitung

Fotografiert in RAW-Format, um die besten Ergebnisse zu erzielen. Da die Kontraste trotz Unterbelichtung stark sind und der Hintergrund möglichst dunkel sein sollte, empfiehlt es sich, mit zwei Ebenen zu arbeiten. In Photoshop könnt ihr mit einer Maske die Belichtung von Spinne und Netz unterschiedlich korrigieren.

E-M1MarkII; Olympus 60 mm 2.8; f/2.8; ISO 200; Foto Inga Edel

Spinne und Netz habe ich getrennt bearbeitet und dann in einem Bild zusammengefügt.

Viel Spass! Wir freuen uns über Kommentare und euer Feedback!

Kommentare

Profile picture for user Flora1958

MOD

Liebe Inga, lieber Uli!

Das ist spitzenklasse!!! So eine tolle Anleitung für diese ganz besonderen Spinnenbilder. Fantastisch, ich bin begeistert.Noch dazu sind Eure Bilder einzigartig. Herzlichen Dank dafür!

Und jetzt nichts wie raus und Discospinnen verewigen. :-) Gutes Gelingen an alle!

Liebe Grüße

Gabi

 

Profile picture for user Hermann56
Makronist

Ein Beitrag und die Bilder in der Spitzenklasse, vielen Danke für die Tipps ich habe wieder etwas dazu gelernt. Umsetzen muss ich es natürlich einmal selber, mal sehen was mein lädierter Rücken dazu sagt.

 

LG Hermann

Profile picture for user elf61
Makronist

Hallo Inga & Uli,

danke für Euren inspirierenden Howto-Beitrag.
Eine sehr interessante Herangehensweise, die zum Experimentieren anregt, unterlegt mit außergewöhnlich schönen Fotos!

Viele Grüße
Andreas

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