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ADMIN

Hallo Sigi,

nimmt man es genau, muss man jedes Objektiv individuell ansprechen. Dann kommen noch die vielen möglichen Licht- und Kontrastsituationen eines Motivs hinzu. Alles zusammen führt dazu, dass man nur bedingt allgemeingültige Aussagen treffen kann. Ich versuche es trotzdem, in dem Wissen, dass es fehlerbehaftet ist.

Allgemein gilt:
Lichtstarke Objektive haben relativ größere Linsendurchmesser als lichtschwächere. Bei voll geöffneter Blende muss also das Licht durch die gesamte große Glasfläche hindurch – und das ist beispielsweise bei einer Blende 1.2 schon eine sehr große Glasfläche! Die Anforderungen für Ingenieure dabei ist, das Glas in seiner gesamten Größe auf hohem Qualitätsniveau zu produzieren.

Kommt nun starkes, gegebenenfalls sogar direktes Licht auf diese Glasfläche, ist dort eben auch sehr viel Glas, auf dem es tanzen, sich spiegeln, hin- und hergeworfen und ich weiß nicht was alles kann. Deshalb bilden solche großflächigen Linsen bei Offenblende häufig etwas diffus ab. Ein Abblenden um eine Stufe – dann wird bereits der gesamte äußere Rand der Glasfläche nicht mehr für die Bildentstehung herangezogen – führt häufig bereits zu einer enormen Steigerung der Kontrast- und Detailwiedergabe.

Hast Du nun ein Objektiv, das von vornherein bereits eine oder zwei Blendenstufen lichtschwächer ist, besteht schon gar nicht das "Problem" mit den großen Glasflächen. Solche Objektive bilden in der Regel bei "ihrer" Offenblende deutlich kontrast- und detailreicher ab als die lichtstarken.

Natürlich gibt es, wie schon oben gesagt, große Unterschiede bei den verschiedenen Objektiven. Aber dieses Grundprinzip gilt dennoch. Es führt beispielsweise dazu, dass ein 120mm-Objektiv mit vielleicht 4.0 als offenste Blende bereits bei dieser Blende 4.0 sehr kontrast- und detailreich abbilden kann– und das sogar, ohne dass hier die Ingenieure Purzelbäume schlagen mussten. Ein solches Objektiv mit guten Offenblendleistungen kann also auch recht günstig sein.

Und da der Glasdurchmesser mit jeder abnehmenden Blendenstufe (also zunehmender Lichtstärke) sehr viel größer werden muss, steigt der Schwierigkeitsgrad bei seiner Herstellung enorm stark an. So liegt beispielsweise bereits zwischen einer Offenblende von 1.4 zu 1.2 ein sehr großer Unterschied, und zur Blende 0.95 verdoppelst sich die Glasfäche fast nochmals.

Die oben beschriebenen Folgen für die Abbildung verstärken sich zum einen bei der Abbildung von Detailreichtum und zum anderen, wenn man zusätzlich noch in den (extremen) Nahbereich geht. Und genau das trifft bei unseren aktuellen Arbeiten mit der Baldachinspinne zu. Die Spinne ist mit ihren etwa 7mm sehr klein (Nahbereich), und ihr filigraner Körper zeigt sehr viele Details wie dünne Beine, Borsten usw. Hier werden also lichtstarke Objektive sehr stark gefordert.

Ich hänge Dir mal drei Beispiele an, die mit drei unterschiedlich lichtstarken Objektiven gemacht wurden: das erste Foto mit Blende 1.2, das zweite mit 1.8 und das dritte mit 2.7. Das erste Foto entstand mit dem Olympus 1.2/55m, das Gabi oben anspricht. Das zweite mit dem Oreston 1.8/50mm (Dein "Lieblings-Werkzeug" – grins), und ein 2.7/105mm-Teleobjektiv aus dem Hause Meyer Görlitz. Alle drei Objektive sind hervorragende Objektive, hervorragend zum Bildmalen geeignet. Und dennoch ist das tolle Olympus 1.2/55mm (in anderen Motivsituationen eine regelrechte Mal-Maschine) hier nicht besonders gut geeignet, da es eben bei diesem hohen Abbildungsmaßstab und dem sehr starken und harten Licht ins Diffuse rutscht. Aber siehe selbst:
 

Olympus 1.2/55mm

Beachte den Lichtschleier, der über der gesamten Spinne liegt (Foto mir rechter Maustaste in neuem Tab vergrößern). Die großen Glasflächen können dieses viele Licht, das die Sonne direkt auf den Baldachinteppich strahlt, nicht mehr sauber "verarbeiten". Das kann zu tollen, mystischen Stimmungen führen – oder, wie hier, zu viel werden.
 

Oreston 1.8/50mm

Hier zeigt die Blende 1.8 deutlich mehr Strukturen der Spinne. Das Oreston ist kein "besseres" Objektiv als das Olympus 1.2/55m, sondern ein völlig anderes. Und mit seiner weniger großen Öffnung, also mit seinen weniger großen Glasflächen, kommt es nicht zu so starken Überstrahlungen. Es kommt mit dieser Situation besser zurecht als das Olympus. Bei anderen Situationen wird sich dies umkehren.

Teleobjektiv 2.7/105mm (aus den 1930er Jahren)

Mit der Offenblende 2.7 kommt dieses Objektiv noch besser mit der starken Lichteinstrahlung klar; noch mehr Details werden sichtbar, obwohl die Strahlung gleich stark ist wie bei den beiden oberen Fotos.


Zu dem hier Gesagten gibt es natürlich eine Menge Ausnahmen. So gibt es Objektive, die mit Blende 1.4 als Offenblende deutlich kontrast- und detailreicher abbilden als andere mit Offenblende 2.8. Die Darstellung der Kontraste und Details ist, wie oben schon erwähnt, zusätzlich auch noch abhängig von den Licht- und Motivbedingungen. Eine winzige Änderung beispielsweise beim Einfall der Strahlen oben in den Bildern (es braucht sich nur im leichten Wind das Netz ein wenig zu heben oder zu senken – und plötzlich zaubert das Olympus mit seinen riesigen Linsen das mystischste, das geisterhafteste, das "dichteste" Foto mit der höchsten Aussagekraft. Das ist das Interessante bei der Vintage–Makrofotografie, das Spannende beim Malen mit der Kamera

Man könnte nun viele nicht ganz so lichtstarke Objektive aufzählen, die mit einer solchen Situation wie einer Baldachinspinne im Netzteppich gut umgehen können – oder man zählt gar keine auf, weil es eben auf so viele Komponenten ankommt. Hinzu kommen ja schließlich auch noch die verschiedenen Brennweiten. Man muss tatsächlich ausprobieren, was wie am besten kommt. Ich habe Fotos gemacht mit lichtstarken und mit lichtschwachen, mit Brennweiten von 20mm bis 150mm – und alle zeigen eine andere Charakteristik. Und wenn man weiß, worauf man achten muss beim Malen mit der Kamera, dann entstehen viele tolle Überraschungen. Genau um das zu lernen, treffen wir uns hier beim Makrotreff :-).

Liebe Grüße

Roland

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