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ADMIN

Hallo Klaus,

Deine Bildeinstellung "Gänseblümchen" ist ein hochinteressantes Foto. Ich hatte dies schon erwähnt. Deine Vorgehensweise, Motive su "suchen" und gezielt vor dem Erstellen der Aufnahme zu überlegen, wie Du Dich ihnen näherst, ist eine sehr kreative Art der Fotografie.

Und genau das wird insbesondere beim Gänseblümchenbild ersichtlich. Deine Überlegung, die Blüte, die sich im Tropfen widerspiegelt, mit ins Bild zu "holen", ist super. Die Umsetzung desselben ebenfalls. Von der genialen Farbwiedergabe sowie dem herausragenden Licht fange ich nicht schon wieder an :-).

Nein, das "Problem" ist nur eines: die Gerade! Der lange, gerade Grashalm im Kontext der übrigen Bildinhalte.

Und hier betreten wir nun ein anderes, ein neues Terrain. Die Türe da hinein hast Du selbst geöffnet – nämlich mit Deiner tollen Art, die Motive anzugehen – anders formuliert: mit Deiner vorher entwickelten Bildidee. Denn damit hast Du Dir einen Zusatz-Job verpasst: Du hast eine Idee entwickelt und willst sie nun als genau diese umsetzen. Willst also, dass sie bei dem Betrachter ankommt, dass ihn die von Dir beabsichtige Bildwirkung erreicht. Bestenfalls, dass er Deine Bildintention erkennt.

Und genau auf diese "neue" Ebene habe ich mich eingelassen. Ich habe Dir quasi "den Bildbetrachter" gespielt, habe laut gedacht, was passiert – automatisch passiert – wenn ein Bildbetrachter (D)ein Bild anschaut.

Die Sprache des Künstlers

Wenn Du in dieser Form, wie Du vorgehst, eine Bildidee entwickelst, musst Du bei deren Umsetzung beachten, dass Du Bildwirkungen erzeugst. In Deinem Beispiel oben bedeutet das nicht nur, dass das (sichtbare) Vorhandensein des Gänseblümchens im Bild sowie dessen Spiegelbild in den Tropfen seine Wirkung hat. Oder dass das Licht so, wie Du es ausgewählt hast für Dein Foto, ebenfalls seinen Anteil an der Bildwirkung hat.
Auch die Formen im Bild, insbesondere wenn sie so bildwirksam eingebracht werden wie beim Gänseblümchenbild, haben eine Wirkung. Künstlerisch gesehen stellen sie einen Bestandteil der Komposition dar. Und hier haben sie eine Wirkung, die übergeordnet gilt. Es gibt also kompositorische Bestandteile, die auf uns Menschen bestimmte Wirkungen ausüben, mit denen wir etwas spezielles verbinden. Wichtig ist zu erkennen, dass dabei eine gewisse Objektivität gegeben ist. Damit gehören bestimmte Bestandteile der Komposition zu den allgemeinen Ausdrucksmitteln eines jeden Künstlers.

Das sagt bis hierhin überhaupt nichts darüber aus, wann oder ob bestimmte Ausdrucksmittel gut oder schlecht sind. Dies kann man natürlich auch keinesfalls sagen, denn sie stellen ein Werkzeug des Fotografen/Künstlers dar, mit dem er sein Werk "baut". Und je nach "Bauplan", sprich Zielsetzung, wählt er das eine oder das andere Werkzeug. Schwierig wird´s, wenn er etwas bestimmtes, sagen wir mal abstrakt "A", erreichen will, dafür aber ein Werkzeug mit anderer Aussagekraft, also Werkzeug "B", wählt. Das versteht kein Betrachter, oder zumindest muss er es sehr genau erklärt bekommen (vom Fotografen / Künstler).

Ebenfalls schwierig wird es, wenn der Fotograf/Künstler in einem Bild, bei dem er "nur" eine Aussage transportieren möchte (z.B. positives, harmonisches Gänseblümchen im Garten, das sich in Tautropfen spiegelt), sich bei der Umsetzung aber zwei unterschiedlicher, ja gegensätzlicher Ausdrucksformen bedient. Genau dies ist Dir im Gänseblümchenbild "gelungen" (bitte nicht falsch verstehen, dass ist kein Sarkasmus). Die extrem deutlich runden Formen unterstreichen die Bildaussage positives, harmonisches Gänseblümchen im Garten, das sich in Tautropfen spiegelt, während die extrem scharf abgezeichnete, abfallende schräge Grade des dunkelgrünen Grashalms diese Aussage regelrecht "zerschneidet", also irgendeine andere Aussage von seiner Form und Abbildungsweise her unterstützt. Und diese Bedeutungen bzw. Eigenschaften der Formen sind nun mal gegeben. Damit gehören sie zur Sprache des Künstlers.

Nun liegt es auf der Hand, dass es sinnvoll bzw. sogar notwendig ist, dass ein Fotograf bzw. Künstler (das ist hier das gleiche!) sich über die Wirkungen von Bildsprache bewusst wird und diese lernt. Umgekehrt ist es denke ich nachvollziehbar, dass es zu "Empfindungs-Konflikten" von Seiten des Bildbetrachters kommt, werden diese bildsprachlichen Mittel unbewusst bzw. widersprüchlich eingesetzt. Ausnahme: Genau das ist vom Fotograf gewollt! Dann muss es aber auch offensichtlich sein (daher hatte ich Dich gefragt, ob Du Dir hierzu im Vorfeld speziell etwas überlegt hattest). Dies ist die große Freiheit eines jeden Künstlers!

Konkret zur Bildumsetzung beim Gänseblümchen-Bild:

Bei der Entwicklung und Umsetzung Deiner Bildidee hast Du sehr vieles absolut klasse umgesetzt: die Blüte im Hintergrund, deren Positionierung im Bild, die technischen Aspekte seitens der Kamera (Wahl insb. der Blende), die Schärfe in den Spiegelbildern, das Licht. All das ist wirklich hervorragend – und konsequent stimmig.

Was bleibt, ist die schnurgerade Ausrichtung des Grashalms, die schnurgerade das Bild (zer)schneidet. Ziel sollte es sein: weg von dieser schneidenden Geraden!

Alternative Bildideen

Hierzu fallen mir zwei Ansätze ein:

Ideal wäre einfach ein gebogener Halm – alles andere bliebe so, wie es ist. Dies ist rein (tropfen)physikalisch möglich, muss aber gefunden werden. Und Du hast ja wahrlich schon lange gesucht...

Ein gerader Halm, der aber nicht so extrem "hart" im rechten Winkel zur optischen Achse aufgenommen wird, sondern schräg vom Bild-Vordergrund in den Bild-Hintergrund läuft. Damit verbunden wäre natürlich, dass die Schärfe ausschließlich auf einen Tropfen bzw. dessen Spiegelbild gelegt wird. Die eigentliche Gänseblümchenblüte im Hintergrund sollte dabei idealerweise genau so bleiben, wie Du sie oben im Bild arrangiert hast.
Du siehst, eine Menge hätte, wäre, sollte... Lauter Konjunktive, die zeigen, wie wenig einfach das ist.

Hat jemand noch eine weitere Bildidee?

Dies sind zwei alternative Ansätze. Sicherlich gibt es noch mehr, wahrscheinlich auch bessere. Vielleicht hat hier ein anderer Makronist noch weitere tolle Ideen. Wäre schön, die hier kurz zu formulieren. Das tolle Gänseblümchenbild oben ist es wert!

Lieber Klaus, Du siehst, ich hätte hier nicht so einfach "etwas anders gemacht". Du hast mit Deinem Bild oben ein super tolles Foto mit tierisch viel Diskussions-Potential eingestellt, ein Bild mit enorm hoher Aussagedichte. Darüber kann man viel nachdenken, reden und schreiben (ich krieg langsam Hornhautknubbeln an den Fingern). Aber was man nicht machen kann: es einfach besser machen! Denn dafür hast Du auch bereits viel zu viel gute Vorarbeit zur Aufnahme geleistet.

Dass diese Betrachtungsansätze von enormen Gewicht sind, zeigt alleine die Tatsache, dass sie auch immer ein großes Thema bei meinen Workshops sind. Sehr viele Makronisten sind sich dessen zumindest im Vorfeld nur nicht bewusst.

Lieber Gruß,

Roland

 

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