Parasitwespen - Trichogramma evanescens

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Parasitwespen - Trichogramma evanescens

Mo., 15/01/2024 - 07:37
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Entwicklung

Trichogramma evanescens ist eine Schlupfwespen-Art, die ihre Eier in die EIER von Motten legt. Sie entwickeln sich im Wirts-Ei über drei Larven-Stadien und die Verpuppung zum kompletten erwachsenen Tier heran ... und plötzlich schlüpft eine Wespe aus einem Schmetterlings-Ei!
 


Der Schlüpfvorgang beginnt: Eine voll entwickelte erwachsene Parasitwespe (Trichogramma evanescens) beißt sich durch die Eierschale des Wirts (Getreidemotte, Sitototroga cerealella). Dieser Vorgang kann einige Zeit beanspruchen (nach meinen Beobachtungen bis zu 1/2 Stunde), da die Schale relativ dick ist (ca. 0,7 µm, [4]).

Sony A1, Mitutoyo 50x NA 0.55, Tubus-Linse ITL200 (Nikon), 200mm, ABM 50:1, 1/20s, ISO100, Stack ca. 600 Einzelbilder, koaxiale Beleuchtung (Auflicht) + Schräglicht (LED)
 

Wo andere Wespenarten mühsam Waben basteln und die Brut darin hochpäppeln, ernährt sich dieses Tier ausschließlich vom Schmetterlings-Ei und braucht keinerlei Brutpflege. Einen Nachteil hat diese Strategie natürlich: Die Imago (erwachsenes Tier) kann nicht größer werden als ein Schmetterlings-Ei, in diesem Fall ca. 0,3 – 0,4mm. Tatsächlich gehört diese Wespe zu den kleinsten bekannten Insekten überhaupt. Es gibt noch einen Ableger der Familie, der seine Eier in Staublaus-Eier (!) legt und noch kleiner ist [1], [2].
Die Bilder hier sind deshalb alle mit vergleichsweise hoher Vergrößerung gemacht, ABM 50:1 bis 100:1.

Portrait – man beachte die winzigen Mundwerkzeuge!

Sony A1, Mitutoyo 50x NA 0.55, Tubus-Linse ITL200 (Nikon) 200mm, ABM 50:1, 1/6s, ISO100, Stack ca. 500 Einzelbilder, koaxiale Beleuchtung (Auflicht) + Schräglicht (LED)
 

Merkmale

Die Flügel der Tiere sind häufig zurückgebildet, so dass sie auf „laufende“ Fortbewegung angewiesen sind. Dabei sind sie aber ziemlich flott unterwegs (in Relation zur Körpergröße), und die Weibchen können durchaus im Radius von einem Meter nach Wirts-Eiern Ausschau halten. Die Männchen sind ihnen dabei oft zu mehreren meist dicht auf den Fersen.
 

Imago mit verkümmerten Flügeln

Sony A1, Mitutoyo 50x NA 0.55, Tubus-Linse Raynox 125mm ABM 31:1, 1/6s, ISO100, Stack ca. 600 Einzelbilder, koaxiale Beleuchtung (Auflicht) + Schräglicht (LED)
 

Einige Tiere haben voll ausgebildete Flügel. Gute Flieger sind sie jedoch dennoch nicht. Unter dem Binokular konnte ich Kurzflüge von (immerhin!) ca. 10mm beobachten.
 

Imago mit vollständig ausgebildeten Flügeln. Daneben die Eierschalen mit Löchern von bereits geschlüpften Imagines.

Sony A1, Mitutoyo 50x NA 0.55, Tubus-Linse Raynox 125mm ABM 31:1, 1/8s, ISO100, Stack ca. 600 Einzelbilder, koaxiale Beleuchtung (Auflicht) + Schräglicht (LED); Durch die Auflicht-Komponente kommt es auf den Flügeln (wie auch auf den Oberflächen der Eiern) zu winkelabhängigen Interferenz-Farben (ähnlich wie bei Seifenblasen oder dünnen Ölschichten).
 

Bei exakt senkrechter Beleuchtung (koaxial durch das Objektiv) und Auswertung des Reflektionsspektrums kann man die Flügeldicke messen. Im Vergleich zu „großen“ Insekten ist sie sehr dünn (200 nm), ca. die halbe Wellenlänge von blauem Licht! [4]. Es entsteht ein sattes Blau, nahezu gleichmäßig über die Flügel verteilt. Auch das ist eher ungewöhnlich, z.B. bei den Fliegen (Muscidae) werden die Flügel zur Hinterkante hin kontinuierlich dünner [5]. 
 

Noch ein Imago mit vollständig ausgebildeten Flügeln.

Sony A1, Mitutoyo 50x HR NA 0.75, Tubus-Linse Thorlabs TTL-165A 165mm, ABM 41:1, 1/15s, ISO100, Stack ca. 1050 Einzelbilder, koaxiale Beleuchtung (Auflicht) + Schräglicht (LED). Die Auflicht-Komponente steht hier exakt senkrecht zur Flügeloberfläche, was zu einer satt- blauen Interferenzfarbe führt.

[Relativ aufwändiger Stack, da man bei diesem hochauflösenden Objektiv lediglich 0,5 Mikrometer Tiefenschärfe hat. Dafür kann man theoretisch eine Auflösung von 0,4 Mikrometer erreichen.]
 

Neurologie

Was noch bemerkenswert ist: Diese winzigen Insekten sind am unteren Limit dessen, was man an Neuronen braucht, um als Insekt funktionieren zu können, nämlich ca. 7000 – 10000. [Zum Vergleich: Wir Menschen haben ca. 86 Milliarden Hirnzellen, das sind etwa 12 Millionen mal mehr!] Die Tierchen sind deshalb intensiver Forschungsgegenstand der Neurologen [3]. Aber eigentlich können sie alles, was man braucht: Laufen (relativ schnell!), teilweise sogar fliegen, sich paaren, über Chemo-Sensoren auch weiter weg liegende Wirts-Eier finden. Darüber hinaus klopfen die Weibchen, wenn sie ein mögliches Wirts-Ei gefunden haben, dasselbe mit ihren Fühlern ab. Damit können sie feststellen, ob das Ei geeignet ist oder auch bereits "besetzt" ist (von einer Vorgängerin). Braucht man noch mehr an Intelligenz?
 

Die Komplex-Augen sind bei diesen kleinen Tieren erstaunlich gut ausgebildet. Zusätzlich sind noch 3 Punkt-Augen (Ocelli) vorhanden. Zusammen mit den sonstigen (chemo- und mechano-)Sensoren muss alles mit dem Mini-Gehirn verschaltet sein – und offensichtlich funktioniert es!

Sony A1, Mitutoyo 100x NA 0.7, Tubus-Linse ITL200 (Nikon), 200mm, ABM 100:1, 1/10s, ISO100, Stack ca. 500 Einzelbilder, rein koaxiale Beleuchtung
 

Ökologie und Verwendung als Nützling

Diese kleinen Parasitwespen spielen bei der Regulation von Tierpopulationen – ja am Ende sogar von ganzen Ökosystemen – eine sehr große Rolle. Trichogramma spp. Wespen sind deshalb von Insektenkundlern schon in den frühen 1900er Jahren erforscht worden und wurden bereits um 1926 erstmals in großer Zahl zur Schädlingsbekämpfung gezüchtet [5].
Heute werden verschiedene Arten – spezifisch für verschiedenste Schädlinge – weltweit in großen Mengen „produziert“. Die hier gezeigte Art Trichogramma evanescens ist speziell für die Mottenbekämpfung gedacht. Sie werden auf kleinen Kärtchen geliefert, auf denen befallene Eier der Getreidemotte (Sitototroga cerealella) geklebt sind. Manchmal schlüpft aber auch eine Raupe dieser Motte …
 

So werden die Tierchen geliefert (geöffneter Karton). Der Bleistift dient als Größenvergleich

Sony A7R3, LAOWA Macro 2x, 100mm,  Blende 5,6, ABM ca. 1,5:1, 1/50s, ISO100, Stack aus 2 Einzelbildern
 

Manchmal (allerdings sehr selten) schlüpft aber auch eine Motten-Raupe (Sitototroga cerealella) aus einem Ei …

Sony A1, Mitutoyo 50x NA 0.55, Tubus-Linse ITL200 (Nikon), 200mm, ABM 50:1, 1/8s, ISO100, Stack ca. 300 Einzelbilder, Schräglicht (LED)
 

Laut Hersteller reicht so ein Kärtchen für die nachhaltige Bekämpfung von Lebensmittelmotten (Dörrobstmotte) im Umkreis von 50cm (z.B. eine Schublade). Die Motten sind zwar auch interessante Tiere mit tollen Schuppen, aber wer will sie (bzw. deren Larven) schon im Haus haben?!
 

Dörrobstmotte (Plodia interpunctella)

Sony A7R3, Mitutoyo 10x NA 0.28, Tubus-Linse ITL200 (Nikon) 200mm, ABM 10:1, 1 s, ISO100, Stack ca. 300 Einzelbilder, Diffuses Schräglicht + coaxiales UV (für die Augen)
 

Größenvergleich

Abschließend nochmals ein Größenvergleich: Jeder hier auf Makro-Treff kennt die Bilder der Regenbremse (Haematopota pluvialis). Hier habe ich einen Ausschnitt des Regenbremsen-Auges als Hintergrund eines Trichogramma-Portraits montiert.
 


Trichogramma evanescens vor dem Auge einer Regenbremse als Hintergrund (gleicher Maßstab). Montage zum Größenvergleich

Hintergrund (Ausschnitt des Auges von Haematopota pluvialis): Sony A1, Mitutoyo 20x NA 0.42, Tubus-Linse Thorlabs TTL-165A, ABM 16,6:1, 1/10s, ISO100, Stack ca. 300 Einzelbilder, Schräglicht (LED)
 

Literatur

[1] University of Florida Book of Insect Records: Smallest Adult

[2] E.L. Mockford: A new species of Dicopomorpha (Hymenoptera: Mymaridae) with dimunitive, apterous males. Ann. Entomol. Soc. Am. 90, 1997: Seiten 115–120.

[3]  van der Woude, Emma; Smid, Hans M. (September 2017). "Maximized complexity in miniaturized brains: morphology and distribution of octopaminergic, dopaminergic and serotonergic neurons in the parasitic wasp, Trichogramma evanescens". Cell and Tissue Research. 369 (3): 477–496. doi:10.1007/s00441-017-2642-8. PMC 5579201. PMID 28597098.

[4] Reflexionsspektra der Flügel (Trichogramma evanescens) und der Ei-Oberfläche von (Sitototroga cerealella). (U. Vogl, 2023) 


[5] Beitrag in Makro-Treff (U. Vogl, 2022): Ein Beispiel für Metamerie

[6] Flanders, SE (1930). "Mass Production of Egg Parasites of the Genus Trichogramma". Hilgardia. 4 (16): 465–501. doi:10.3733/hilg.v04n16p465.

Ulrich Vogl betreibt seit vielen Jahren intensiv Makrofotografie insbesondere im Bereich extremer Abbildungsmaßstäbe. Als Physiker interessieren ihn dabei besonders Licht-Effekte wie Interferenz an dünnen Strukturen (Strukturfarben), Lichtstreuung (Regenbogen), Polarisations-Effekte, UV-Auto-Fluoreszenz usw.
Von Biologie versteht er nichts, dafür hat er aber eine Biologin an der Hand.

Kommentare

Profile picture for user Ingo Heymer
Makronist

Hallo Uli,

diese Einstellung macht mich sprachlos. Eine Reportage über das Werden eines 0,4 mm kleines Insekts in durchgängig phantastischer Bildqualität - hinterfüttert von verständlich formulierten biologischen Informationen. Unfassbar. 

Du machst wenigsten was aus deinen 12 Millionen mal mehr Hirnzellen (was man ja nicht unbedingt über alle Individuen unserer Spezies sagen kann). Gratulation und dankeschön, Uli!

Grüße aus dem Norden

Ingo

 

Profile picture for user Flora1958

MOD

Hallo Uli,

was soll ich schreiben. Du weißt ja, dass ich Deine Arbeiten sehr schätze. Dieser Post von Dir ist wie immer herausragend in Bildern und Informationen. Herzlichen Dank für`s Zeigen hier.

Liebe Grüße

Gabi

Profile picture for user Wolfgang Zeiselmair

MOD

Grüß Dich Uli,

super lehrreich und spannend zu lesen! Dazu noch Bilder in der von Dir gewohnten hohen Qualität, welche auch ohne den wissenschaftlichen Hintergrund bestes Augenfutter bieten. Die Arbeit die Du Dir hier gemacht hast ermöglicht nicht nur fantastische Einblicke in eine unbekannte Welt, sie macht auch neugierig und ändert den Blick auf das Leben im ganz kleinen.

Servus
Wolfgang

Profile picture for user Dirk
Makronist

Hallo Uli,

einen sehr interessanten Beitrag hast Du hier eingestellt. Natürlich sind auch die Aufnahmen wie immer eine Augenweite.

Du siehst mich begeistert. :-)

Liebe Grüße

Dirk

Profile picture for user Erich Müller

Hallo Uli,

Asche über mein Haupt, dass ich das hier nicht schon früher angeschaut/gelesen habe, irgendwie war ich wohl nicht bei der Sache.
Mr. Spock hätte hierzu wohl "faszinierend" gesagt. Und genau DAS sind Deine Beiträge hier im MT! Deine Klasse Beschreibung, 
die, Entschuldigung, geilen Fotos dazu, ich bin echt begeistert. Danke für die Faszination die Du uns hier immer wieder gibst, Uli.

Ja diese Schlupfwespen sind sehr klein, die Lebensmittelmotten aber nicht, und wenn man sie nicht los wird im Haushalt ist das schon ein wenig eklig, vor allem deren Maden. Die Schlupfwespen helfen da sehr. Ich habe öfter welche bestellt weil ich die Motten nicht mit einem Mal wegbekommen habe. Einmal kam eine Lieferung zu spät, da waren die Wespen schon im Briefumschlag am rumkrabbel, da habe ich ihre "Größe" erst so richtig gesehen. Ich habe eigentlich ach nichts gegen Motten, aber in meiner Nahrung haben sie nix zu suchen.

Liebe Grüße

Erich

Profile picture for user aorta-besler
Makronist

Ulli, eine großartige Reportage über diese winzigen Insekten die alles beherrschen um gut zu lenen, hoch interessant wir groß der Unterschied von Neuronen zum Menschen sind! Bin wie immer begeister auch deinen Fotos dazu große Klasse!! Macht immer Spaß bei Dir vorbei zu schauen. Gruß Gudrun

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