Die Schärfeebene in der Makrofotografie
Immer wieder stellen Makronisten fest, dass bei ihren Aufnahmen beispielsweise eine Fliege oder Biene trotz geschlossener Blende nicht ausreichend scharf abgebildet wird - und sind frustriert. Bekannte Einflussfaktoren hierbei sind die gewählte Blende und die Focus-Stacking-Methode.
Es gibt noch einen weiteren, häufig nicht beachteten Faktor, der sich ganz maßgeblich auf die in der Schärfezone befindlichen Objektteile auswirkt - die Ausrichtung der Kamera zum Objekt (Perspektive).
Die Schärfeebene in der Makrofotografie ist bekanntlich sehr gering. Das frustriert viele Makronisten, vor allem in ihrer Einstiegsphase in die Makrofotografie. Nun weiß Jeder: "Blende zu, und man hat ordentlich Tiefenschärfe". Und wem die noch nicht reicht, für den gib´s die "Wunderwaffe" Fokus-Stacking. Die ergibt Tiefenschärfe bis zum Abwinken!
Doch ganz so einfach ist das nicht. Will man Fokus-Stacking einsetzen, muss das Objekt regungslos sein - das ist in der Naturfotografie nur selten der Fall und schränkt die Aussagekraft der Fotos sehr ein! Und auch die geschlossene Blende bringt bei großen Abbildungsmaßstäben nur einen verhältnismäßig schmalen Tiefenschärfenbereich - und ist zudem nach oben begrenzt durch die auftretende Beugungsunschärfe. So geschieht es immer wieder, dass hoch motivierte Makronisten zum x-ten Mal beispielsweise eine Biene bei der Nektaraufnahme auf einer Blüte fotografieren, und die Gute wird einfach nicht scharf!
Häufig liegt dieses Problem in der Art und Weise der Kamera-Ausrichtung zum Objekt. Bleiben wir beim Beispiel der Biene. Bei allen folgenden Fotos der "gelben Biene auf gelbem Grund" handelt es sich um die heimische Seidenbiene (Colletes fodiens), fotografiert in ihrem natürlichen Lebensraum bei der Nahrungsaufnahme, und fast immer in Bewegung. Sie verharrt höchstens für Bruchteile einer Sekunde - also Focus-Stacking weitestgehend ausgeschlossen. Anhand dieser Bildserie verdeutliche ich den blenden-unabhängigen Einfluss der Ausrichtung der Kamera auf die Wirkung der Schärfeebene in der Praxis.
Das erste Bild zeigt die Seidenbiene als Ergebnis einer häufig vollzogenen "fotografischen Annäherung": Biene sitzt auf Blüte, Kamera raus, sich langsam mit der Kamera vor dem Auge (oder am Ende eines ausgestreckten Arms :-) ) der Biene nähern und, sobald Biene einigermaßen scharf, lässt man das berühmte Vögelchen rausfliegen!
Was stimmt nun an diesem Foto nicht? Eigentlich fast alles! Vor allem - es hat irgendwie keine Schärfe! Egal, wo man hinschaut, nur an wenigen Körperbereichen der Biene darf sich das Betrachterauge an wirklich scharfen Stellen "ausruhen". Und dass, obwohl die Schärfeebene korrekt platziert ist! Und obwohl Blende 8 eingesetzt wurde: beim Mikro-Four-Third Sensor die am weitesten geschlossene Blende, ehe die Beugung sichtbar zu beugen beginnt!
(Anmerkung: Im Mikro-Four-Third-System ist die Blende 8 nicht isoliert von der Wirkung der eingesetzten Brennweite zu sehen und somit auch nicht vergleichbar mit den Abbildungscharakteristiken der Blende 8 bei Systemen mit anderen Sensorgrößen.)
Der Grund hierfür ist in der Ausrichtung der Kamera zur Biene zu finden, anders formuliert: in der Perspektive. Die Biene sitzt in jeder Hinsicht schräg (zur Kamera): nicht senkrecht unter der Kamera, sondern schräg von oben; nicht seitlich im rechten Winkel, sondern schräg von hinten links nach vorne rechts. Wo soll hier eine Schärfeebene wirkungsvoll wirken?
Stelle Dir im Geiste die Schärfeebene tatsächlich als EBENE vor, die im rechten Winkel vor der optischen Achse (Verlängerung des Objektivs) liegt. Es ist eine Ebene, in der nur auf wenigen Millimetern, dort dafür aber alles scharf ist.
Nun "fahre" mit Deinem geistigen Auge diese Ebene langsam auf die Seidenbiene zu. So, wie die Biene oben im Bild zu dieser Ebene hin sitzt, KANN immer nur ein kleiner Bereich ihres Körpers scharf sein - egal, wo Du die Ebene stehen lässt, wohin Du sie platzierst! Entweder rutscht automatisch der Körper nach hinten (oder nach vorne) aus der Ebene heraus, oder von oben nach unten. Das Ergebnis: Du hast eigentlich immer ein (zu) unscharfes Tier!
Nun richten wir die (sich ständig bewegende - grins) Seidenbiene schrittweise im Sinne von mehr Schärfengewinn aus:
Nun ist schonmal der größte Teil des Körpers in der Schärfeebene. Vorher im Bild 1 verließ der Bienenkörper bereits kurz hinter den Flügelansätzen die Schärfezone - mit dem Ergebnis, dass durch den relativ großen Flächenanteil des unscharfen Hinterleibs irgendwie die ganze Biene zu wenig scharf wirkte!
Aber hier im Bild senkt sich der Hinterleib des Bienen-Mannes etwas nach unten - und verlässt dadurch wieder die Schärfeebene. Deshalb:
Jetzt ist nahezu der gesamte Bienenkörper in der schmalen Tiefenschärfenebene - und damit auch scharf! Nur die Hinterleibsspitze, die ist ein wenig widerspenstig ...
... Jetzt nicht mehr! Nun ist die ganze Biene vom Scheitel bis zum letzten Abdomen-Haar scharf - oder anders ausgedrückt, innerhalb der Schärfeebene. Und das bei ansonsten exakt gleichen fototechnischen Parametern: gleiche Blende, gleiche Brennweite! Nur die Ausrichtung der Kamera zur Biene wurde verändert - mit der Folge, dass möglichst viele ihrer Körperteile (hier die komplette Breitseite) flächig im rechten Winkel zur Kamera in der Schärfeebene liegen. Gegenüber dem ersten Bild oben ist der Tiefenschärfenbereich der gleiche, er wird nur anders wahrgenommen, weil er mehr Motivbereiche, mehr "Biene" erfasst!
Beachte, dass immer möglichst viele Motiv-Teile innerhalb der quer verlaufenden Schärfeebene liegen!
Das heisst jetzt natürlich nicht, dass jedes Motiv immer schön quer sitzen muss. Das würde mit der Zeit ziemlich langweilige Bilder-Wiederholungen ergeben. So kann auch eine leichte Schräg-Positionierung in der Vogel- sprich "Bienenperspektive" (also auf gleicher Höhe) sehr wirkungsvoll sein:
Obwohl in diesem Bild der Bienenhinterleib ebenfalls nach hinten der Schärfeebene entfleucht, hat es Berechtigung. Die Spannung entsteht durch die Stellung der Biene in Verbindung mit der tiefen Aufnahmeposition.
Das nächste Foto verdeutlicht die gleiche Gegebenheit bei einer völlig anderen Perspektive:
Es handelt sich um ein Portrait der Biene. Doch auch hier gilt das gleiche Prinzip: Die wesentlichen Teile des Motivs sollten in der Schärfeebene liegen. Und obwohl der Bildbereich, der in der Schärfe liegt, im Verhältnis zum Gesamtfoto eine geringere Größe aufweist als bei der Queransicht oben, deckt er nahezu komplett den wesentlichen Motivbereich ab, nämlich das Gesicht der Biene.
Liegt die Schärfeebene nicht auf einem relativ großen Bereich des Hauptmotivs, sollte sie den wichtigsten Bereich des Hauptmotivs betonen!
Natürlich sind auch von diesem Grundsatz kleine Abweichungen möglich, wenn ansonsten Bildparameter wie Perspektive, Bildaufteilung usw. passen. Dies verdeutlicht das nächste Foto:
Beim diesem seitlichen Portrait des Seidenbienen-Männchens liegt die "Fläche" des Bienengesichts nicht exakt im rechten Winkel zur optischen Achse. Folge: Das linke, hintere Auge liegt bereits außerhalb der Schärfeebene.
In diesem Fall ist das aber "verkraftbar", weil zum einen der Schärfepunkt tatsächlich exakt auf der Gesichtsbehaarung, den Kiefernzangen (Mandibeln), dem rechten Auge und dem linken Fühler liegt. Zum anderen strahlt dieses Bild aufgrund der Bildaufteilung (Biene in rechter Bildhälfte, nach links ins Bild hinein schauend), dem tiefen Aufnahmewinkel und nicht zuletzt der außergewöhnlichen Farbe (nur schwarz und gelb) eine große Harmonie aus und spricht den Betrachter direkt und positiv an. Da geht die Unschärfe im linken Auge etwas unter.
Hier nochmal die Wirkung im direkten Vergleich:
Beachte bei exakt gleichen fototechnischen Parametern die unterschiedliche Wirkung der Schärfeebene. Beim linken Bild sitzt die Biene quer und wurde schräg von oben fotografiert. Die Schärfeebene liegt extrem ungünstig und deckt nur wenige Körperstellen ab - die Biene wirkt insgesamt unscharf.
Beim rechten Foto liegt die Schärfeebene auf der kompletten Seite der Biene, fotografiert von einem tieferen Winkel aus - die Biene wirkt scharf!
In diesem Sinne viel Spaß beim Makrofotografieren und "Gut Licht",
Roland Günter
Weiterführende Artikel zu diesem Thema hier auf Makrotreff:
Schärfepunkt - Schärfeebene - Tiefenschärfe - Schärfentiefe - von Roland Günter
Die optimale Blende in der Makrofotografie - von Valentin Gutekunst
Roland Günter ist Betreiber von Makrotreff und Chefredakteur von MAKROFOTO. Der Dipl. Forst-Ingenieur betreibt die Makrofotografie hauptberuflich und verwaltet ein umfangreiches biologisch-wissenschaftliches Bildarchiv.
Der Kern seiner Arbeit liegt in der Dokumentation biologischer Vielfalt. Zu diesem Themenkomplex werden seit vielen Jahren seine Fotos und Reportagen im In- und Ausland in vielen gängigen Zeitschriften und Buchproduktionen publiziert.
Einen weiteren Schwerpunkt seiner Tätigkeit bildet die von ihm auf professionelles Niveau gehobene künstlerisch-kreative Vintage-Makrofotografie – also die Fotografie mit alten Objektiven an modernen Sensoren. Unter anderem hat er den einzigartigen Multivisions-Vortrag Fotografie mit Flair – Malen mit der Kamera konzipiert und neben anderen Events bei den Internationalen Fürstenfelder Naturfototagen vor großem Publikum gehalten.
Kommentare
Diese Erklärung ist Dir…
ADMIN
Hallo Uwe,…
Hallo Uwe,
ja, ich kenne die meisten der Tiere (auch Insekten!), die ich fotografiere, "persönlich", weil ich sehr oft umfassende Foto-Dokumentationen erstelle und währenddessen viel Zeit mit ihnen verbringe. Dabei lernt man sich gegenseitig kennen, schätzen, manchmal auch lieben :-) !
Häufig erstelle ich dann auch solche Fotoreihen wie diejenige der "gelben Biene auf gelbem Grund", bei denen ich auch gezielt Fotos mache, die nicht optimal sind - aber halt oft genau so von Makronisten erstellt werden (das sehe ich immer wieder auf meinen Workshops und Einzelcoachings). Solche Fotoreihen setzte ich dann wiederum gerne zur Verdeutlichung bestimmter Bildwirkungen bei meinen Workshops und Coachings ein.
Lieber Gruß
Roland
Ganz toller Artikel! Vielen…
Ganz toller Artikel! Vielen Dank dafür! Super Fotos!
Ganz toller Bericht und auch…
Neben der Schärfeebene, die…
Meine Ausrüstung: Nikon…
Hallo Roland,das Portrait…
Hallo Roland,
das Portrait der Seidenbiene kenne ich ja schon lange. Aber warum ich diesen Artikel jetzt erst entdecke, ist mir ein Rätsel. Besser kann man das Thema einfach nicht erklären. Perfekt!
Geklärt ist damit (für mich) auch die Frage, ob man für ein derartiges Foto eine Makrolinse (ich meinte eine Nahlinse wie die Raynox 250, aber jetzt hast du schon geantwortet und mich auch so verstanden) braucht oder nicht. Offensichlich nicht, da du ja nicht (oder kaum) beschneidest.
Was mir noch nicht klar ist: Welche Rolle spielt die Brennweite? Du hast das Sigma 105mm f/2.8 Makro genutzt. Ich habe in diesem Jahr fast ausschließlich das Oly 60mm f/2,8 Makro drauf gehabt (aus Selbstdisziplinierungsgründen, ich wollte lernen, richtig dicht an meine Motive heranzukommen). Wenn man davon träumt, selbst solche Portraits zu machen (und davon träume ich wirklich :-) ): Sollte man dann einen bestimmten Brennweitenbereich bevorzugt nutzten und wenn ja, welchen und warum?
Ich könnte natürlich auch noch ein paar Jahre rumprobieren, dann würde ich wahrscheinlich selbst drauf kommen. Aber eine kleine abkürzende Erläuterung wäre auch nicht schlecht (wenn du magst)...
Liebe Grüße
Ingo
ADMIN
Hallo Ingo,die Brennweite…
Hallo Ingo,
die Brennweite spielt bezüglich des Bildergebnisses bei dem hier gezeigten Bild eine eher untergeordnete Rolle. Der Bildwinkel würde sich verändern, was aber bei diesem Motiv keinen wesentlichen Einfluss hätte. Mit dem 2.8/60mm Macro hätte ich es also genauso gut fotografieren können.
Bei einem solchen Motiv hat in der Regel die unterschiedliche Aufnahmedistanz und damit die Fluchtdistanz eine größere Bedeutung.
Allerdings spielte die Fluchtdistanz hier bei mir auch keine Rolle, da ich diese Wildbiene viele Tage lang beobachtet und dokumentiert hatte. Wir kannten uns also sehr gut und hatten keine Angst mehr voreinander :-).
Liebe Grüße
Roland
Hallo Roland,das ist gut zu…
Hallo Roland,
das ist gut zu wissen. Vielen Dank!
Am schönsten aber ist, dass ich die von dir geschilderte Erfahrung immer häufiger teilen kann. Mögen die Lebewesen noch so klein und "fremd" sein: Man kann sich anfreunden und angstfrei beieinander sein - weil man sich kennt! Unfassbar schön und berührend...
Liebe Grüße
Ingo
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