Porträt: Jennifer Markwirth - Das Botanische Kabinett der essbaren Pflanzen
In diesem Interview spricht Jennifer über ihre Leidenschaft für die Fotografie und ihr Projekt Flora obscura, dem Botanischen Kabinett der essbaren Pflanzen.
Hallo Jennifer Markwirth, erzähle uns etwas über Dich. Wer bist Du, und woher kommst Du?
Ich komme ursprünglich aus Nordrhein-Westfalen und bin 2003 nach Frankfurt gezogen, um eine zweite Ausbildung im Forschungsinstitut Senckenberg anzufangen. Davor hatte ich im Bereich Gestaltung und Design in einer Werbeagentur gearbeitet. An der Goethe-Uni betreue und erweitere ich die botanischen und archäobotanischen Sammlungen der Abteilung und bearbeite Proben im Labor.
Wie bist Du zur Fotografie gekommen?
Ich habe schon als Kind meine Begeisterung fürs Fotografieren entdeckt und bin gerne mit einer Kamera raus in die Natur gegangen. Was mein jetziges Großprojekt betrifft, war diese Lust am Fotografieren sicher sehr förderlich, und genauso meine Ausbildung zur Gestalterin, zu der die Fotografie als auch die Bildretusche gehörte. Aber zwei andere Faktoren mussten noch dazukommen. Zum einen meine Arbeit mit den botanischen Sammlungen an der Uni. Meine Kolleginnen brachten zahlreiche Früchte aus afrikanischen Ländern mit, Nüsse, Samen und Herbarbelege – das sind gepresste und getrocknete Pflanzen oder Pflanzenteile, die auf Kartonbögen montiert sind –, vieles davon von lokalen Märkten, das meiste essbar – und hierzulande praktisch unbekannt. Eine halbierte Elefantenzitrone (Afraegle paniculata) zum Beispiel. Hinzu kam irgendwann die Sammlung der Lebensmittelchemie-Abteilung. Darunter waren viele Gewürze, Getreide, Hülsenfrüchte usw. Faszinierende Lebensmittel und Sammlungsstücke, die zumeist in verschlossenen Schränken verborgen bleiben. Etwa die Tahiti-Vanille (Vanilla pompona), 1972 gesammelt, die immer noch lieblich duftet. In meinen Augen sind diese Sammlungen wahre Schatzkammern. Und die Schätze, das sind in diesem Falle also die essbaren Pflanzen. Es ist eine kaum fassbare Fülle, die uns da zur Verfügung steht, selbst wenn man die unzähligen gezüchteten Sorten außer Acht lässt. Ich will diese Vielfalt festhalten und bei anderen Menschen dieselbe Faszination wecken, wie ich sie empfinde.
Pflanzen bilden immer noch den größten, wichtigsten und tatsächlich auch genussvollsten Teil unserer Ernährung. Mit meinem Projekt will ich die Pflanzen hinter den Produkten zeigen
Warum ich mich bei meinem Projekt auf essbare Pflanzen beschränke? Vielleicht, weil ich Veganerin bin und mir am Anfang auch einmal die Frage stellen musste: Was esse ich denn dann? Was wir oft vergessen, ist, dass auch z.B. Nudeln und Brot pflanzlich sind, das sind Hartweizen, Weichweizen, Roggen und andere Getreide. Kaffee, Tee, Bier und praktisch alle Gewürze sind Pflanzen. Viele Menschen nehmen das nicht mehr als pflanzlich wahr, weil bei derart verarbeiteten Produkten – im Gegensatz zu Salat und anderem frischen Gemüse und Obst etwa – die Pflanze nicht mehr sichtbar ist. Pflanzen bilden immer noch den größten, wichtigsten und tatsächlich auch genussvollsten Teil unserer Ernährung. Mit meinem Projekt will ich die Pflanzen hinter diesen Produkten zeigen.
Du präsentierst Deine Fotografien auf der Website "Flora obscura". Was steckt hinter dem Begriff, und was genau kann man auf Deiner Seite finden
"Flora" ist lateinisch und meint sowohl die Pflanzenwelt, abgeleitet von der römischen Göttin der Blumen, als auch ein Verzeichnis von Pflanzenarten, auch Florenwerk genannt. In einem solchen Florenwerk wird die Pflanzenvielfalt eines Gebietes dokumentiert. Damit ist normalerweise ein geographisches Territorium gemeint, während meine "Flora" alle Pflanzen aus dem Gebiet der Kulinarik umfassen soll. Außerdem auch Pilze, die biologisch keine Pflanzen sind, aber in der Küche wie welche behandelt werden, dort sind sie ein Gemüse. "Obscura" ist ebenfalls aus dem Lateinischen und bedeutet in etwa "dunkel", "finster", und auch "verborgen". Da ich meine pflanzlichen Objekte stets vor schwarzem Hintergrund fotografiere und die Vielfalt essbarer Pflanzen aus dem Verborgenen ans Licht bringe, fand ich dieses Attribut sehr passend. Die Farben der Früchte usw. kommen auf schwarzem Grund besonders stark zur Geltung. Und die Farbe war mir stets ein zentrales Element. Im Menü der Webseite kann man eine Farbe auswählen und sich beispielsweise alle roten Objekte anzeigen lassen. Es gibt – neben der Farbe – auch die Kategorien "Verwendung" und "Essbar". Ich kann mir also z.B. alle Steinfrüchte, Gewürze oder alle Getreide (Verwendung in der Küche) anzeigen lassen, oder alle Blätter, Samen, Früchte oder Wurzeln (die essbaren Pflanzenteile). Alle Objekte der gewählten Kategorie werden dann im "Kabinett", einer Übersicht, mit einem Bild, dem lateinischen und einem Trivialnamen gezeigt. Ein Klick auf den Namen öffnet schließlich das Portfolio zu diesem Objekt mit weiteren Bildern, einer kurzen Beschreibung und einer Infoliste, wo ich über Herkunft, Fruchttyp, Objektgröße, Taxonomie usw. informiere. Beim Fruchttyp wäre das beispielsweise die "Sammelnussfrucht" der Erdbeere. Diese Begriffe sind verlinkt. Ein Klick darauf zeigt alle Objekte an, die Sammelnussfrüchte sind.
Dies wäre also das Herzstück von "Flora obscura", daneben gibt es außerdem das Journal, meinen noch eher leeren Blog.
Wie läuft so ein typisches Pflanzen-Shooting bei dir ab?
Das beginnt wohl mit dem Entdecken und Erkennen einer Pflanze und dem Recherchieren, ob diese essbar ist, jedenfalls, wenn ich diese Pflanze, diese Frucht nicht gerade im Handel gefunden habe – was immer seltener der Fall ist. Die meisten Pflanzen bzw. Pflanzenteile kommen aus botanischen und privaten Gärten, oder ich finde sie in der Natur. Mein „Studio“ habe ich zu Hause. Dort muss ich die gesammelten Objekte meistens sehr zügig fotografieren, bevor sie verwelken. Das Verwelken beginnt spätestens, wenn ich die Pflanzen aus der Tüte hole. Oft haben sich die Blätter aber während des Transports schon „verlegt“, haben also keine natürliche Position mehr. Nicht immer ist es möglich, dies durch vorsichtiges Beschweren für einige Minuten und durch Fixierung mit Präpariernadeln zu korrigieren, bevor sie verwelken. Die Pflanze bis zum Shooting „frisch“ zu halten, ist daher eigentlich die größte Herausforderung. Darum sind Früchte, Nüsse, Samen und Wurzeln schon bequemer zu fotografieren.
Weil ich bei allen Objekten eine durchgängige Tiefenschärfe erhalten möchte, fotografiere ich stets mit der Focus Stacking-Methode. Obwohl eine einzelne Bildserie weniger als eine Minute dauert, bewegen sich manche Pflanzen aber zu schnell für ein fehlerfreies Ergebnis. Nicht nur passiv durch Schwerkraft und Verwelken etwa, sondern tatsächlich auch durch aktives Zusammenfalten der Blätter. Oxalis triangularis zum Beispiel hat sich daher nach einigen Versuchen als „nicht fotogen“ erwiesen. Ich fotografiere – wenn möglich – zunächst die ganze Pflanze und nach und nach einzelne Teile von ihr: das einzelne Blatt, einzelne Blüten, außerdem Längs- und Querschnitte von Samen und Früchten. Ich habe dafür immer ein sehr gut geschärftes Messer in der Küche, manchmal muss ich auch mit einer Säge ans Werk.
Es ist immer auch Naturforschung dabei, eine schrittweise Annäherung an die Anatomie der Pflanze mithilfe des Makroobjektivs und des Focus Stackings. Wie ist die Frucht aufgebaut, wie die Blüte, welche feinen Strukturen haben die Frucht oder das Blatt? Und manchmal auch: Welche Tierchen leben auf dieser Pflanze? Im Anschluss folgen das Verrechnen der Bilder mit einem Stacking-Programm und eine recht aufwändige Nachbearbeitung.
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