Das Insektenjahr neigt sich langsam dem Ende zu. Bei uns im Norden sieht man hauptsächlich noch Wanzen, Fliegen, Schwebfliegen und einzelne Käfer, Bienen und Wespen. Wobei mir Individuenzahl und Artenvielfalt bei den Wespen in diesem Jahr sehr klein erscheinen. Selbst der Pflaumenkuchen auf der Terrasse bei milder Witterung lockte nur exakt eine Deutsche Wespe an!
Umso schöner war es, vor ein paar Tagen eine parasitierende Schlupfwespe an der (künstlichen) Lehmsteilwand (einer an die Wand gehängten Kiste mit Lehmfüllung), in die andere Insekten ihre Brutröhren gegraben haben, bei der Eiablage zu beobachten zu können. Leider habe ich bezogen auf Schlupfwespen noch keine Bestimmungsliteratur entdeckt. Hat da vielleicht jemand einen Tipp?
Spannend war auch eine andere Beobachtung an der Lehmkiste: Im Frühjahr haben dort zahlreiche Frühlingspelzbienen ihre Brutröhren angelegt - die äußere Öffnung dick wie ein kleiner Finger, nach innen verjüngt sie sich. Dort saß kürzlich ein Käfer, dem im zunächst keine Beachtung schenkte. Später sah ich ihn am Sandbeet auf Totholz herumkriechen und fotografierte ihn (dokumentarisch), um ihn evtl. bestimmen zu können. Es handelte sich um den Schmalflügligen Pelzbienenölkäfer (Sitaris muralis).
Die Recherche ergab Erstaunliches! Der Käfer parasitiert Pelzbienen. Er legt am Ausgang der Brutröhre seine Eier ab, die sich dann zu Larven entwickeln und dort überwintern. Im Frühling schlüpfen zuerst die Drohnen der Pelzbienen. Während der Schlupf kriechen die Käferlarven auf die Drohnen und fliegen mit ihnen aus. Die kurz darauf erfolgende Paarung der Pelzbienen nutzen die Larven, um auf das Weibchen "umzusteigen". Wenn dieses ihre Eier ablegt, steigt die Larve ab und ernährt sich dann in der Bruthöhle vom von der Biene eingebrachtem Pollen und Nektar - und den Pelzbieneneiern. Ungefähr im August verlässt der dann entwickelte Käfer die Bruthöhle, paart sich und legt seine Eier wiederum am Eingang einer Brutröhre einer Pelzbiene ab.
Was passiert aber, wenn der Trauerschweber die Pelzbienenbrut schon viel früher im Jahr parasitiert hat? Keine Ahnung!
Das Schlupfwespenfoto sollte ein Stack aus fünf Bildern werden. Zwei waren aber unbrauchbar, daher die Unschärfen am Flügelansatz. Das Käferbild ist ein Stack aus zwei Fotos.
Liebe Grüße
Ingo
PS; Der Käfer hat hier eigentlich nichts zu suchen. Er ist erst in den letzten Jahren nach Norddeutschland vorgedrungen (Klimawandel) und noch relativ selten.
Kommentare
Hallo Ingo,tolles Motiv und…
Hallo Ingo,
tolles Motiv und sehr informativ. Da hat mir das Anschauen und Lesen viel Spass gemacht! Stacks von solch dynamischen Szenen sich wirklich anspruchsvoll.
Viele Grüße
Udo
Hallo Udo,lange Texte sind…
Hallo Udo,
lange Texte sind ja immer so eine Sache. Freut mich sehr, dass du dem etwas abgewinnen konntest, dann hat sich das Schreiben auf jeden Fall gelohnt! Ist ja auch einfach total spannend, was die Evolution so hervorgebracht hat.
Leider sind meine Naturbeobachtungen in diesem Jahr total spooky. Wo sind die Tiere alle geblieben! Anlässlich des schönen Wetters radle ich gerade noch mal zwei Tage im Paderborner Land (an der Lippe). Gespräch von Dortmundern am Nachbartisch: „ Wir hatten immer so viele Vögel im Garten. In diesem Jahr: Fast nichts. Die Stille ist unheimlich.“ Eigentlich kein Wunder. Keine Insekten, keine Vögel. Die Ursachen sind uns hier ja bekannt. Aber ich habe in diesem Jahr das erste Mal das Gefühl: Das „Sechste Sterben“ ist unübersehbar real.
Tja, und wie reagieren wir Makronistem darauf adäquat? Im Moment freue ich mich noch an so schönen Fotos wie dem von deiner Furchenbiene (sauber erwischt 😳). Aber ist mir persönlich das auf Dauer genug? Es schreit nach Aufschrei, aber irgendwie bleibt der aus. Fatalismus? Hilflosigkeit? Man müsste zeigen können, was nicht mehr da ist. Aber wie macht man das?
Naja, auf jeden Fall liebe Grüße und dir allzeit „Gut Licht“
Ingo
Hallo Ingo,ich kann Dir nur…
Hallo Ingo,
ich kann Dir nur zustimmen. Auch ich nehme wahr, dass es speziell dieses Jahr sehr wenige Insekten gab bzw. gibt. Sicher konnte ich die ein oder andere interessante Beobachtung machen, aber in Vielfalt und Anzahl doch deutlich weniger, im Vergleich zum letzten oder vorletzten Jahr. Übrigens nicht nur bei mir zu Hause in Süddeutschland, auch z.B. in Portugal, wo ich jedes Jahr einige Wochen verbringe.
Das da etwas nicht mehr da ist, fällt allerdings nur Menschen auf, die sich mit offenen Augen und Ohren in der Natur bewegen, und dass sind immer weniger.
Bleibt die Hoffnung, dass wir als Makronisten einen klitzekleinen Beitrag leisten können durch Fotos, die das, was die meisten Menschen gar nicht mehr wahrnehmen, sichtbar machen, wie z.B. Dein tolles Foto von der Schlupfwespe.
Weiterhin spannende Beobachtungen und viele Grüße aus dem Raum Stuttgart.
Udo
Hallo Ingo,das sind wieder…
Hallo Ingo,
das sind wieder wunderbare Beobachtungen und die Hintergründe zum Schmalflügligen Pelzbienenölkäfer sind fantastisch. Das Leben eines Parasiten kann so spannend sein :-)
Auch ich konnte in meinen Revieren feststellen, dass wenig los ist. Dafür immer mehr Vermüllung und Lärmbelästigung .... Ich fürchte, der größe Parasit ist der Mensch.
Liebe Grüße
Inga
Hallo Inga,da hast du wohl…
Hallo Inga,
da hast du wohl recht.
Wie dramatisch das Ganze erscheint, hängt natürlich wesentlich von der Perspektive ab.
Um das komplette Leben auf diesem Globus platt zu kriegen, müssten wir schon deutlich mehr „auf die K`cke“ hauen als bisher. Wenn es uns gelänge, einen Treibhauseffekt wie auf der Venus hinzubekommen, könnte es klappen (mittlere Temperatur 464 °C, 90fach höherer Druck, Atmosphäre bestehend überwiegend aus Schwefelsäure usw.). Laut Stand der Wissenschaft besaß auch unser Nachbarplanet mal eine erdähnliche Atmosphäre und sowie Wasser in flüssiger Form… . Aber das traue ich uns nicht zu 😊. Das Leben auf der Erde an sich ist wohl nicht in Gefahr.
Problematisch finde ich eher zu wissen, dass die menschlichen Nachfahren unserer Generation unseren Konsum- und Naturentfremdungsrausch böse bezahlen werden. Ich erinnere mich an die Frage, die ich als junger Mensch Älteren -bezogen auf den Holocaust- gestellt habe: Wie konnte das geschehen? Ihr habt es doch alle gewusst! Trotz lebenslanger eigener Widerständigkeit fühlt sich das nicht gut an. Eher wie: Wir haben es verbockt, wir waren nicht gut genug.
Das ist aber alles eher abstrakt. Wenn ich ganz ehrlich bin: Was mich wirklich schmerzt ist es, das Aussterben von Lebewesen mitzuerleben, die sich über Hunderttausende oder Millionen Jahre evolutionär zu unfassbarer Perfektion und Schönheit optimiert haben – und das nicht verhindern zu können.
Liebe Grüße
Ingo
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