Gemeine Baldachinspinne (Linyphia triangularis) – Das große Techtelmechtel
Eine Bildergeschichte auch für Erwachsene :-)...
Seit einigen Tagen hat eine etwa 7 Millimeter große Gemeine Baldachinspinne (Linyphia triangularis) in meiner Kräuterspirale in der Italienischen Strohblume (Helichrysum italicum), auch Currykraut genannt, ihren Netz-Baldachin gespannt, einen parallel über dem Boden gewebten Teppich aus Seidenfäden. Seitdem verbringe ich täglich viele Stunden zusammen mit ihr.
Annegret – das ist der Name der Baldachinspinnendame – sitzt den ganzen Tag in ihrem Netz und wartet darauf, dass sich eine schmackhafte Fliege oder ähnliches darin verfängt. Tag um Tag, völlig regungslos.
Eines Morgens jedoch, zu sehr früher Stunde, kommt Hausbesuch. Vorsichtig betritt aus dem seitlichen Geäst der Strohblume ein Männchen den Netz-Teppich. Es handelt sich um Berthold, der ein Auge auf Annegret geworfen hat und anscheinend sehr fasziniert von ihr ist.
Anschließend demonstriert er auf gleiche Weise die Gelenkigkeit seiner Vorderbeine. Dabei fuchtelt er erregt mit den Boxhandschuhen vor seinem Gesicht – das sind die beiden dicken Bobbel an den Stielen vor seiner Nase, die sogenannten Palpen. Die Verdickungen am Ende der Palpen ("Boxhandschuhe") haben nur Männchen; mit ihnen lässt sich mächtig wichtig und beeindruckend hantieren.
Berthold läuft um Annegret herum, nähert sich ihr behutsam von vorne und setzt sich in akrobatischer Position bauchoben etwas vor und über sie – schwierig zu beschreiben. Kein Wunder, ist ja auch ´ne echt schwierige Position!
Nun führt Berthold abwechselnd seine beiden Taster (Palpen) in die sogenannte Epigyne (so nennen Biologen das Geschlechtsorgan weiblicher Webspinnen) seiner Auserwählten ein. Vor diesem Begattungsakt hat Berthold eine Spermatropfen in seine "Boxhandschuhe", also die Verdickungen an den Palpen, gepackt. Dieser wird nun übergeben.
Das Liebesspiel der beiden dauert viele Stunden, beschränkt sich aber auf diesen einen Tag. Am Folgetag sitzen beide Partner den gesamten Tag über ermattet und nahezu bewegungslos im Baldachin-Netz. Und ich bin tief beeindruckt von dem, was ich erlebt habe.
Alle Fotos entstanden mit der Olympus E-M1 Mark II und dem manuellen Olympus OM 2.0/90mm Makroobjektiv, Blende 2.0 und 2.8, 1/80s – 1/200s, ISO 200 – 500, freihand.
Roland Günter ist Betreiber von Makrotreff und Chefredakteur von MAKROFOTO. Der Dipl. Forst-Ingenieur betreibt die Makrofotografie hauptberuflich und verwaltet ein umfangreiches biologisch-wissenschaftliches Bildarchiv.
Der Kern seiner Arbeit liegt in der Dokumentation biologischer Vielfalt. Zu diesem Themenkomplex werden seit vielen Jahren seine Fotos und Reportagen im In- und Ausland in vielen gängigen Zeitschriften und Buchproduktionen publiziert.
Einen weiteren Schwerpunkt seiner Tätigkeit bildet die von ihm auf professionelles Niveau gehobene künstlerisch-kreative Vintage-Makrofotografie – also die Fotografie mit alten Objektiven an modernen Sensoren. Unter anderem hat er den einzigartigen Multivisions-Vortrag Fotografie mit Flair – Malen mit der Kamera konzipiert und neben anderen Events bei den Internationalen Fürstenfelder Naturfototagen vor großem Publikum gehalten.
Kommentare
MOD
Guten Morgen, Roland! Ein…
Guten Morgen, Roland!
Ein Hochgenuss!!! So kreiert ein Vintagefoto-Profi Paarungs-Märchen. ***Super***
Und nun weiß ich endlich, was da überhaupt genau mit diesen Tastern passiert und was da übergeben wird.Das war mir unklar.
Glückwunsch zur gelungenen Serie!:-)
Liebe Grüße
Gabi
ADMIN
Hallo Gabi, "Paarungs…
Hallo Gabi,
"Paarungs-Märchen" – guter und passender Begriff! Es war wirklich klasse, insbesondere das Annäherungsspiel der Beiden zu beobachten. Hat irgendwie was Menschliches :-).
Liebe Grüße
Roland
Phantastisch, Roland! Diese…
Phantastisch, Roland! Diese Kombination von biologischem Wissen und fotografischem Können ist äußerst bereichernd!
Ingo
ADMIN
Hallo Ingo, bereichernd war…
Hallo Ingo,
bereichernd war für mich das Erlebte, während ich diese Fotos gemacht habe. Es ist für mich ein tolles Gefühl, während solcher Verhaltensweisen ganz nahe bei diesen Tieren zu sein. Dann entsteht tatsächlich so etwas wie eine Beziehung :-).
Liebe Grüße
Roland
Hallo Roland, das glaube…
Hallo Roland,
das glaube ich sofort. Dieselbe Erfahrung habe ich neulich mit den Feldsandlaufkäfern gemacht (habe ich hier ja auch beschrieben). Sag´ s nicht meiner Frau, aber abends im Bett habe ich an "den mit dem beschädigten Flügel" gedacht - wie es ihm wohl geht und was er so macht. Und das er am nächsten Tag schon nach ein paar Minuten wieder ankam, während alle anderen erst einmal die Flucht ergriffen haben, hat mir schon zu denken gegeben! (Grins) (von wegen Beziehungen entstehen ...)
Im Ernst, schöne Bilder sind toll - aber sich anderen, bisher unbeachteten Lebewesen anzunähern, sie zu beobachten und kennenzulernen, das verändert Bewusstsein und Wahrnehmung für den Rest des Lebens. Und in der Folge leidet man, wenn man beispielsweise über Monate ein von Wildpflanzen zugewuchertes und von Tieren bewohntes zukünftiges Baugrundstück besucht hat, dann eines Tages aber tatsächlich alles zubetoniert wird. "Man" sind leider viel zu wenige - aber der Makronist*innen - Anteil ist mit Sicherheit überdurchschnittlich hoch!
Liebe Grüße
Ingo
Na HALLO, mein lieber Schwan…
Na HALLO, mein lieber Schwan...
ähh Roland meine ich natürlich. Das ist eine sehr schöne Fotoserie, und Deine dazugehörigen Informationen sind echte Sahne. Du beschreibst das Liebesspiel des Baldachinspinnenpaares als wäre es ein (bebilderter) Roman, und die Namensgebung Deiner Protagonisten, einfach klasse. Einfach toll geschrieben. Das mag ich auch an Deiner Homepage so, die tollen Beschreibungen des Verhaltens der Tiere, das enorme Wissen darüber.
Von Dir würde ich gerne ein Buch lesen, ich wäre einer der ersten, der es kaufen würde. Ach Roland, komm Valentin hat ja auch eins veröffentlicht, das kannst Du auch, davon bin ich mehr als überzeugt! Und man liest es hier in Deinen Posts.
Liebe Grüße
Erich
ADMIN
Hallo Erich, neee, das mit…
Hallo Erich,
neee, das mit dem Buch lasse ich erst einmal. Bücher sind nicht mehr das, was sie früher einmal waren; sie sind zu Massenartikeln degradiert worden. Nur wenige Jahre, oft nur Monate attraktiv, werden sie sofort vom nächsten abgelöst, eines nach dem anderen. Die Erscheinungsdichte ist wichtiger als die Qualität. Leider ist auch der Buchmarkt in den Schlund des gierigen Kapitalismus geraten...
Lass uns lieber hier auf Makrotreff ein wenig plaudern und Freude haben – und dann gibt´s ja auch noch unsere MAKROFOTO-Zeitschrift.
Liebe Grüße
Roland
Die Spinnen............ …
Die Spinnen............
einfach ein Genuss so ein Beitrag zum Schmunzeln und hochspannend was im Spinnenland abgeht. Gerne schließe ich mich den anderen Kommentaren an, wieder mal eine tolle Anregung zur Foto Jagd nach den Spinnen.
Lieber Gruß Sigi
ADMIN
Hallo Sigi, Spinnen zeigen…
Hallo Sigi,
Spinnen zeigen unvorstellbar einfallsreiche, spannende und spektakuläre Verhaltensweisen. Wären Spinnen im Allgemeinen bei den Menschen nicht so negativ belegt, wären sie wahrscheinlich eben genau wegen dieser Verhaltensweisen auf der Beliebtheitsskala ganz oben. Dem ist aber nicht so, leider besetzen sie den untersten Punkt auf dieser Skala – während flauschig-süße Bienen ziemlich weit oben rangieren.
Tja, so sind Menschen...
Liebe Grüße
Roland
Hallo Roland, bin erst…
Hallo Roland,
bin erst gerade dazugekommen diesen Beitrag mit Muse anzusehen. Total spannend und schön! Ich verfolge die Arbeit von einigen bekannten Makrofotografen aber bisher habe ich noch niemanden gesehen, der die Motive und das was "eigentlich gerade geschieht" so einordnen kann. Ich finde, das gibt den Bildern einfach nochmal viel mehr Bedeutung und Tiefe.
Sehr interessant fände ich, wie das Gehirn dieser Tiere funktioniert. Ganz rausfinden werden das die Menschen wohl nie mit ihren groben Messinstrumenten und oft falschen Vorannahmen. Gerade die Annahme, dass die kognitiven Leistungen der Tiere gar so primitiv und lediglich instinktgesteuert sind, finde ich äußerst fragwürdig. Das Wort "Instinkt" kommt mir vor wie das Wort "Zufall", denn es ist eher ein Platzhalter, der zum Tragen kommt, wenn andere Erklärungen nicht zur Hand sind ;-) Ich denke, dass sie auch "fühlen" können und intelligent mit der Umwelt umgehen. Für den Tierschutz ist es bestimmt hilfreich, wenn zunehmend Menschen auch allen Tieren Gefühle und Intelligenz zuschreiben. Es fällt dann schwerer, ihnen "ohne schlechtes Gewissen" zu schaden. Erfahrungswerte und Beobachten der Tiere sind wohl sehr wichtige Forschnungsstrategien auf diesem Weg.
Sonnige Grüße
Rob
PS: Keine Ahnung, wie du das mit diesen langen Verschlusszeiten so gestochen scharf hinbekommst. Ich wünschte, ich könnte das auch.
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