Objektivvorstellung und –test: Rodenstock Vergrößerungsobjektiv 1:1,3 f=56mm – Serie 1

Nach längerer Abstinenz möchte ich euch ein neues Pferd im Stall vorstellen, eine Rarität und ein absoluter Exot: ein Rodenstock Vergrößerungsobjektiv 1:1,3 f=56mm.

Kein "gewöhnliches" Objektiv; mit ungeklärter Herkunft, ehemals wahrscheinlich optischer Bestandteil einer größeren Maschine; ohne Entfernungseinstellung, mit stufenloser Blende (ohne Skala), ohne Gewinde und/oder Anschluss.

Eindeutig ein Objektiv weniger für detaillierte Abbildungen, sondern eher für expressive „Malereien“.

Mehr zum Objektiv selbst habe ich am Ende beigefügt.

Die Blenden-Testreihe (Blendenwert siehe Mauszeiger) habe ich wegen der zahlreichen Hintergrundstrukturen in das noch blattlose und fast monochrome Gewirr eines Schnurbaumes geschossen, ohne Ansprüche auf Ästhetik, Bildschnitt und –aufbau etc. Fokussiert habe ich auf das kleine Zweiglein in der Mitte.

Die Serie wurde unter Verwendung ein 12mm-Zwischenringes aufgenommen, die Distanz Objektiv – Objekt betrug 23 cm, der Abbildungsmaßstab liegt bei etwa 1:3,4.

Die Fotos wurden nur leicht bearbeitet, hinsichtlich Belichtung, Farbton und Kontrast.

Mich würden sehr eure Meinungen zum Bildlook und zum Bokeh (darf man das so nennen?) dieses Exoten, insbesondere bei offener oder fast offener Blende interessieren. Dafür ganz herzlichen Dank im Voraus.

Eine weitere Serie mit geeignetem farbigem Motiv wird hoffentlich bald folgen.

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Mehr zum Objektiv (leider habe ich keinen anderen Weg gefunden, um die umfangreiche Charakterisierung einzufügen)

Vergrößerungs-Objektiv Rodenstock 1:1.3/f=56mm

Zur Herkunft:

Das Objektiv habe ich für weniger als 100 € bei einem Stuttgarter Händler erworben. Verkauft wurde es als Objektiv von Rodenstock. Eine Nachfrage bei Rodenstock Optics (jetzt Qioptiq Photonics GmbH & Co. KG) hat ergeben, dass dieses Objektiv dort nicht bekannt sei. Die 6-stellige Seriennummer 150709 passe nicht zu der Rodenstock-Nomenklatur.

Der Händler versicherte mir bei einer erneuten Nachfrage, dass das Objektiv von Rodenstock käme. Zumindest weisen auch die beiden Objektivdeckel darauf hin. Etwas mysteriös bleibt die Herkunft des Objektives dennoch.

Zur Technik:

Das Objektiv zeigt äußerliche Merkmale, die darauf hindeuten, dass es kein „gewöhnliches“ Foto-Objektiv ist. Aufgrund der Bauart gehe ich davon aus, dass es ehemals innerhalb eines technischen Gerätes verbaut war. Weder hat es kameraseitig noch frontseitig einen Mount oder ein Anschlussgewinde. Auch die Möglichkeit zur Entfernungseinstellung fehlt und die stufenlose Blende ohne Skala wird über einen Zahnradring eingestellt. Auch das Fehlen eines regulären Gehäuses und einige freiliegende außen umlaufende Dichtungsringe lassen auf eine ehemals technische Verwendung schließen.

Zur optischen Leistung:

Die bei Offenblende sehr mäßige zentrale Schärfeleistung bei Blende 1.3, die nach außen hin noch stark abfällt und die starken Verzeichnungen hin zum Rand auch bei kleinerer Blende lassen vermuten, dass dieses Objektiv nicht für das gesamte sichtbare Lichtspektrum (400 – 700 nm) oder gar nicht für sichtbares Licht gerechnet wurde. Möglicherweise wurde das Objektiv für die UV-Lithographie oder etwas Ähnliches verwendet. Wie gesagt sind das nur Vermutungen. Es scheint auch so zu sein, dass der Strahlengang nicht die ganze Blendenöffnung ausnutzt, zumindest wird das daran sichtbar, dass bei Blende 2 (ausgemessen) die Belichtungszeit nur ganz wenig länger wird.

Zur Blende:

Das Objektiv ist mit einer 8-teiligen Lamellenblende ausgestattet. Nominell hat das Objektiv eine Offenblende von 1:1.3. Verglichen mit einem Auto Rikenon 1:1.4/f=55, welches etwas lichtschwächer sein müsste, zeigt sich jedoch, dass die nominelle Lichtstärke von 1:1.3 nicht erreicht wird, vielmehr wird im Vergleich zum Rikenon bei Offenblende eine ca. 2 bis 2,5-fache Belichtungszeit benötigt. Um mit „Blendenwerten“ arbeiten zu können, habe ich am Zahnradmechanismus der Blende Markierungen von 1 bis 10 angebracht, deren Werte ich dann – errechnet aus dem Abgleich mit dem Rikenon – in ca. Blendenwerte umrechne. Die grobe Ausmessung der Blendenöffnung hat die Richtigkeit dieser „Berechnung“ bestätigt.

Zum Bildlook:

Auf Verdacht (mit Rückgaberecht) gekauft, hat mich das Objektiv nach provisorischer Adaptierung mit einer Pappröhre sehr beeindruckt. Das Objektiv malt extrem eigenwillig, aber in sehr ausgeprägter Form. Bei Offenblende fällt die ohnehin knappe Schärfe nach außen hin ab. Dafür werden die starken Verzeichnungen nach außen zunehmend stärker. Ebenso wie die ausgeprägten hellen Überstrahlungen an den Kontrastkanten.

Bei Offenblende und entsprechendem Lichteinfall entsteht ein grandioses Bokeh, wenn man das noch als solches bezeichnen kann. Auch abgeblendet bis ca. 2 bis 2,8 ist die Charakteristik des Objektives bei entsprechender Lichtsituation noch recht ausgeprägt.

Aufgrund des Fehlens einer Entfernungseinstellung lässt sich das Objektiv nur im Nahbereich < 75 cm nutzen, mit kleinen Zwischenringen oder kurzem Helicoid ist die Fotografie nahe des Makrobereichs möglich. Darin liegt natürlich auch die Schwierigkeit. Bei (fast) offener Blende ist das Objektiv ohne Stativ fast nicht handhabbar.

 

Fazit:

Ein sehr eigenwilliges und nicht einfach zu handhabendes Objektiv mit mysteriöser Herkunft, wenig Schärfe bei Offenblende, aber mit einem ganz eigenständigen und gigantischem Bokeh. Ein Objektiv weniger für detaillierte Abbildungen, sondern eher für expressive „Malereien“.

 

Kommentarbereich

Profile picture for user Wolfgang Zeiselmair

MOD

Grüß Dich Reinhard,

die zentrale Schärfe ist ja so schlecht auch wieder nicht. Bei Offenblende ist das Bokeh schon echt faszinierend, abgeblendet wird es mir zu "wild". Ich denke Du hast hier ein Spielzeug, dass Dir noch viel Freude machen wird. Ich kann mir vorstellen, dass bei mehr Spitzlichtern in Hintergrund ein irrsinger Tunneleffekt auftreten wird. Bin schon echt neugierig. Du kannst bezüglich des Objektivs ja auch mal bei Gudrun nachfragen, die arbeitet ja oft mit echten Exoten.

Servus
Wolfgang

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Makronist

Grüß Dich Wolfgang,

ich danke Dir für's Draufschauen.

Den Bildlook beurteile ich genauso wie Du. Ich denke, dass ich bei Blende 1.3 und 2.0 ganz gute Kompromisse hinsichtlich der Schärfe erzielen kann. Zur Not kann ich auch noch partiell nachschärfen.

Ein Spielzeug? Ich hoffe, dass es mehr wird. Und mit dem Tunneleffekt hast Du völlig Recht. Ich hatte im "Studio" (nicht vorzeigbare) Testaufnahmen mit Kunstlicht und Spitzlichtern gemacht. Da sind Bilder entstanden, in deren Tunnel man regelrecht hineingezogen wird, völlig abgefahren.

Jetzt gilt es erstmals damit umzugehen, ich freue mich drauf. Und es bleibt spannend!

Neben diesem Objektiv habe ich mir in der Winterpause noch zwei weitere angeschafft, ein Cyclop und ein Rikenon 1.4/55.

Es gibt viel zu tun!

Servus

Reinhard 

 

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Makronist

Hallo Reinhard, du hast ja soviel zu deinem Objektiv geschrieben, da fällt mir nichts mehr ein. Um es beurteilen zu können muss ich es selbst testen um es mit meinen Obis vergleichen zu können. Du solltest weitere Fotos einstellen. Fotografiere mal Lichtreflexe. ZB. eine Wasseroberfläche oder Gras mit Tautropfen.

Ist in jedem Fall ein interessantes Objektiv was ich so auch noch nicht gesehen habe. Gruß Gudrun

Profile picture for user ReBe FotoArt

Makronist

Hallo Gudrun,

ich hatte im "Studio" (nicht vorzeigbare) Testaufnahmen mit Kunstlicht und Spitzlichtern gemacht. Da sind Bilder entstanden, in deren Tunnel man regelrecht hineingezogen wird, völlig abgefahren.

Ich habe schon gemerkt, dass es bei direktem Licht bei weitem nicht so explodiert, aber immer noch schön zeichnet. Die eine oder andere Testreihe wird noch erscheinen.

Und das Frühjahr kommt ja noch, mit all seinen Motiven, mit Wassertropfen, Spitzlichtern und reichlich Seit- und Gegenlicht. Ich freue mich drauf.

Liebe Grüße

Reinhard

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Makronist

Hallo Reinhard,

interessant ist es allemal und es gibt ja, wie mich Z.B. immer Leute, die auf so ein Bokeh "abfahren" :-)

Beim Betrachten möchte ich noch eine Möglichkeit als Gedanken beisteuern. Solche Tunneleffekte kenne ich auch von modifizierten Linsen. Villeicht kannst Du ja mal schauen, ob da jemand, frei nach dem Motto "Jugend forscht", eine der Linsen gedreht hat. Wäre mal ein Anregung. Meine Vermutung: Wenn es so wäre und man's zurückdreht, verliert es von seinem momentanen spannenden Charakter.

lg

Wolffslicht

Profile picture for user ReBe FotoArt

Makronist

Hallo Wolffslicht,

danke für's Kommentieren.

Ich gehe davon aus, dass da nichts gedreht wurde. Das Objektiv ist ein sehr technisch gestaltetes Teil, da wüsste ich gar nicht, wie man an die Linsen ran kommt. Da sieht auch alles aus, als wäre es an seinem Platz

Der Verkäufer hatte mir geschrieben, dass er davon einige zehn Teile abverkauft hätte. Ich hatte wohl Glück, und habe tatsächlich das allerletzte erwischt.

Schau'n wir mal, wie sich das weiter entwickelt.

Ich schau demnächst auch wieder bei Dir rein, ich nehme an, dass Du fleißiger warst als ich.

Liebe Grüße

Reinhard 

 

Profile picture for user frasiemue
Makronist

Hallo Reinhard,

beim Vergleich der Blende bist Du auf den "Transmissionswert" reingefallen :))) ... siehe Optiken für Filmer, dort wird die "effektive Blende" als "T" (Transmission) verwendet, weil es beim Filmen auf die physikalisch echte Lichtdurchlässigkeit geht ... es gibt also eine "f"-Blende (das Öffnungsverhältnis) und eine "T"-Blende, die wirkliche Lichtdurchlässigkeit.

Der Look des Objektivs erinnert mich an die Cooke-Altgläser (s. g. Cooke-Triplets). Es wird jedoch ein fotografisches Objektiv im normalen Spektrum sein, ansonsten hätten die Bilder einen Farbstich oder farbliche Artefakte. Vielleicht ist Dein Objektiv ein Fachobjektiv. Die werden ja mittels Objektplatten an Laufbodenkameras montiert. Nur habe noch kein Objektiv für Laufbodenkameras mit Offenblende f1.3 gesehen. Was immer Du da gekauft hast, es ist ein echtes Schätzchen. Damit wirst Du noch einiges zaubern :)))) ...

Was Rodenstock betrifft ... habe ich noch nie von einem Model mit f1.3 Offenblende gehört ... wie oben gesagt, ich tippe auf einen Cooke-Triplet-Nachbau. Es tauchen immer mal wieder welche auf und sind in der Regel auf Augenhöhe mit dem Original! Das wäre ein echter Glücksfall und Schätzchen ... 

Herzliche Grüße & viel Spaß

Siegbert

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