Notblüte der Kastanie im Herbst; © R. Günter

Hilferuf der Bäume

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Hilferuf der Bäume

So., 26/08/2018 - 20:54
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Notblüte im Herbst – unseren Pflanzen geht es schlecht! (Mit Update am Ende des Posts.)

Olympus OM-D E-M1 Mark II, Olympus OM Zuiko 90mm f/2.0 Makro; Blende 4.0; 1/160s.; ISO 200

Kastanie mit abgestorbenen Blättern und jungem Blattaustrieb mit Blüten.

Gestern war ich unterwegs, um Vintage-Makrofotos von späten Sommerblühern zu machen. Plötzlich stand ich mit staunenden Augen vor einer Kastanie. Zwei Drittel Ihrer Blätter waren abgefallen, der Rest hing braun an den Zweigen herunter. Und mittendrin: Blüten! Große, aufrechte Kastanienblüten. Und an ihren Sprossbasen frische, hellgrüne Blätter.

Dieses Bild überraschte mich zunächst, erwischte mich irgendwie auf dem falschen Fuß. Nach kurzem Staunen schnürte sich mein Hals zu. Meine Fassungslosigkeit wich einem beklemmenden, bedrückenden Grundgefühl. Der Ausdruck dessen, was ich sah, war eindeutig: Diesem Baum ging es nicht nur nicht gut, mir schien, als riefe er sogar um Hilfe. Absterbende, tiefbraune Blätter, tote Äste, lichte Krone – und dazwischen kläglich wirkende, schmale, frische Blätter mit kleinen Blütenrispen – verirrte Frühlingsboten, die vollkommen die Orientierung verloren zu haben schienen. Der Gegensatz wirkte grausam. Mir bot sich ein Kontrast, der überhaupt nicht zusammenpasste. Der Kastanienbaum, ein Lebewesen, strahlte aus, das irgendetwas mit ihm gewaltig nicht stimmte, dass es ihm sehr schlecht ging.

Was steckt dahinter?

Biologen nennen dieses Phänomen Notblüte. Mit einer solchen späten Blüte reagieren verschiedene Baumarten, wenn sie ihre Blätter zu früh abwerfen (müssen). Ein Grund hierfür kann bei Kastanien beispielsweise ein früher Befall mit einer kleinen Miniermotte sein, der dazu führt, dass die angefressenen Blätter braun werden und vorzeitig abfallen. Doch das geschieht im späten Frühjahr.

Dies ist nicht das Problem der Kastanie, die ich gestern, also Ende August, traf. Sie leidet unter der enormen Hitze und Trockenheit der letzten Wochen und Monate. Sie leidet so stark, dass sie begonnen hat zu sterben. Mit ihren letzten Kräften schiebt sie nochmals einige frische Blätter und insbesondere Blüten hervor, völlig ungeachtet der Tatsache, dass diese keine Chance mehr haben, erfolgreich zu fruchten. Sie blüht sich regelrecht zu Tode – man spricht vom "sich totblühen"!

Grausam und traurig

Ich muss gestehen, meine Kastanien-Begegnung hat mich tief berührt. Zu stark waren die Ausdrucksformen, mit der sie auf ihren Zustand aufmerksam machte. In einem fast kahlen Baum standen zwischen krallenartigen, halbreifen, viel zu kleinen, dreckig fleckigen Kastanienhüllen und tiefbraunen Blättern wie ein letzter Hilferuf die Blüten. Ist das das Sinnbild der aktuellen, gravierenden Veränderungen in unserer Umwelt? Sind das die Zeichen und Bilder, die aus unserem Umgang mit der Natur resultieren?

Für die Kastanie, die ich gestern traf, bedeutet ihre "Entscheidung" jedenfalls den sicheren Tod. Sie hat aufgrund eines zu geringen Photosynthese-Umsatzes während des Frühjahrs und Sommers ihre Knospenanlagen aktiviert. Blätter und Blüten, die eigentlich für das kommende Frühjahr vorgesehen waren, wachsen nun in den Spätsommer und Herbst hinein. In diesem Jahr bringen ihre Versuche keinen weiteren Zuwachs, im kommenden werden die Knospen fehlen. Damit dürfte sie mit recht großer Sicherheit absterben.
Das Phänomen der Notblüte gab es schon immer, insbesondere dann, wenn extreme Witterungsereignisse auftraten. Doch es tritt infolge der Klimaveränderung zunehmend häufiger auf – und heftiger!

Meine Laune war dahin, mehr noch, ich war richtig traurig. Ich habe schon öfter Bäume in Notblüte gesehen. Aber ich muss gestehen, so stark angesprochen und berührt wie diese Kastanie hat mich bisher noch keiner!

Fotografie als Werkzeug

Gestern entschied ich mich, Fotos zu machen, und zwar Fotos, die die Botschaft dieses absterbenden Baumes festhalten und transportieren. Und ich verbinde damit zwei Vorhaben: zum einen die Botschaft der Kastanie weiterzuleiten, zum anderen aufzuzeigen, wie man mittels gezielter Anwendung von bildgestalterischen Mitteln und Fototechnik eine solche Botschaft aussagekräftig auf den Sensor bannt. Ich setzte gezielt zwei klassische Vintage-Objektive ein, beide knapp 40 Jahre alt. Mit ihnen lässt sich meines Erachtens die Dramatik der Situation noch deutlicher einfangen als mit modernen Linsen.

Seid Ihr auch sich totblühenden Bäumen begegnet? Wenn ja, nehmt die folgenden Fotos als Anregung, ebenfalls Bilder von diesen Bäumen zu machen – und hier im Anhang in diesen Post einzustellen, oder mit ein paar Zeilen an die nächste Zeitung zu schicken, oder in Facebook zu posten, oder, oder, oder...
Sich totblühende Bäume leiden. Sie zeigen es. Versucht, dieses Leiden fotografisch zu erfassen, ihm Ausdruck zu verleihen. Es ist die Reaktion des Umgangs des Menschen mit der Natur, die Reaktion unserer Mit-Lebensformen auf die von Menschen verursachten Veränderungen. Wir können wegschauen und gemäß dem weit verbreiteten Grundsatz business as usual einfach weitermachen wie bisher. Wir können uns aber auch diesen Botschaften stellen, bereit sein, sie zu lesen und zu empfangen. Und WIR können sie mittels der Fotografie auffangen, verdichten und weitergeben. Die folgenden Bilder können hierzu als Anregung dienen.

Olympus OM-D E-M1 Mark II, Olympus OM Zuiko 90mm f/2.0 Makro; Blende 2.0; 1/800s.; ISO 320

Ein groteskes Bild: Blütenstand mit frischen Blättern neben verkümmerten, anfauligen Kastanienhüllen.

Olympus OM-D E-M1 Mark II, Cyclop 85mm f/1.5; Blende 1.5; 1/1600s.; ISO 200

Blütenstand mit frischen Blättern neben verkümmerten, anfauligen Kastanienhüllen. Das, was normalerweise nacheinander wächst, geschieht hier nebeneinander.
 

Olympus OM-D E-M1 Mark II, Cyclop 85mm f/1.5; Blende 1.5; 1/1600s.; ISO 200

Helle Erdhummel (Bombus lucorum) bei der zwecklosen Bestäubung der Kastanien-Blüten.
 

Olympus OM-D E-M1 Mark II, Cyclop 85mm f/1.5; Blende 1.5; 1/1000s.; ISO 200

Kümmernde, anfaulige Kastanienhüllen mit kahlen Blattstielen.
 

Update 15.09.2022

Heute habe ich wieder Kastanien gesehen, deren normaler Bio-Rhythmus anscheinend durcheinandergekommen ist: neben vertrocknenden Fruchtansätzen stehen frische Blütenstände in Vollblüte – und das Mitte September! Auffällig ist, dass es sich nach dem Trockenjahr 2018, in dem ich oben stehende Beobachtung gemacht hatte, dieses Jahr auch wieder um ein sehr trockenes Jahr handelt. Bei einem Menschen würde man von einem Hilfeschrei sprechen, bei Pflanzen nennen Menschen dies "Notblüte".

Nach meinen jahrzehntelangen Erfahrungen mit Pflanzen vermute ich, dass diese Pflanzen unter enormem Stress stehen. Ich werde in den kommenden Jahren beobachten, welche Auswirkungen solche sich wiederholenden Stress-Situationen auf die allgemeine Fitness dieser Pflanzen (hier bei diesem Beispiel der betroffenen Kastanien) hat. Ich halte es für wahrscheinlich, dass die Folgen mehrerer hintereinander auftretender Stress-Ereignisse solchen Ausmasses zum Absterben der betroffenen Pflanzen führen kann beziehungsweise wird.

Roland Günter ist Betreiber von Makrotreff und Chefredakteur von MAKROFOTO. Der Dipl. Forst-Ingenieur betreibt die Makrofotografie hauptberuflich und verwaltet ein umfangreiches biologisch-wissenschaftliches Bildarchiv.

Der Kern seiner Arbeit liegt in der Dokumentation biologischer Vielfalt. Zu diesem Themenkomplex werden seit vielen Jahren seine Fotos und Reportagen im In- und Ausland in vielen gängigen Zeitschriften und Buchproduktionen publiziert.

Einen weiteren Schwerpunkt seiner Tätigkeit bildet die von ihm auf professionelles Niveau gehobene künstlerisch-kreative Vintage-Makrofotografie – also die Fotografie mit alten Objektiven an modernen Sensoren. Unter anderem hat er den einzigartigen Multivisions-Vortrag Fotografie mit Flair – Malen mit der Kamera konzipiert und neben anderen Events bei den Internationalen Fürstenfelder Naturfototagen vor großem Publikum gehalten.

Kommentare

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Makronist

Lieber Roland,

ein berührender Artikel mit einer sehr sinnvollen Aufforderung: fotografieren und die Ergebnisse posten oder an die Presse schicken.

Jeder kann Fürsprecher sein, sensibilisieren mit den Mitteln, die ihm/uns zur Verfügung stehen. Sei es im Gespräch, durch die Veröffentlichung von Fotos mit erklärendem Text oder weiterführenden Links, durch die Unterstützung von Anderen, die sich für die Natur einsetzen, den Kauf von Produkten, die überlegt hergestellt wurden;, oder durch den Nichtkauf des x-ten Dieses und des superbillig-aber-nach-der-zweiten-Nutzung-kaputten Jenes.

Jeder kann der Natur helfen - auf seine Art. Auf vielen Wegen. Auch mit kleinen Handlungen.

Danke, dass du mich daran erinnert hast!

Mainecoon

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ADMIN

Hallo Mainecoon,

ja, die Spielräume, die jeder hat, sind groß – größer als die meisten denken. Ich musste ein wenig schmunzeln über Deine Aufzählung ("... des superbillig-aber-nach-der-zweiten-Nutzung-kaputten Jenes.") Sehr treffend!

Ich mache mir öfter Gedanken darüber, ob und inwieweit wir hier bei Makrotreff solche Dinge thematisieren sollen (*). Wir beschäftigen uns sehr viel mit sehr schönen Themen: tolle Fotos von mindestens genauso tollen Pflanzen und Tieren sowie ihre biologischen Hintergründe.

Dennoch sollte auch Raum für das sein, was genauso zur Realität der uns umgebenden Natur gehört – ihre Zerstörung und wie sich diese zeigt. Und eine ganz besondere Möglichkeit für Makronisten ist, mit ihrer Kamera auch diese Seite der Gegenwart festzuhalten und anderen Menschen zu zeigen.
Dies muss nicht, darf nicht mit erhobenem Zeigefinger passieren. Hier haben im Allgemeinen Fotografen einen großen Vorteil: Sie können ihre Bilder sprechen lassen, da kann der körperliche Zeigefinger dann ruhig in der Tasche bleiben. Und je aussagekräftiger die Fotos gemacht sind, desto klarer ist ihre Botschaft – ein Grundprinzip, das wohl jeder Künstler bemüht ist anzustreben. Deshalb meine Anregung oben im Artikel, gezielt eine bestimmte Botschaft im Foto zum Ausdruck zu bringen. Das kann man/muss man lernen. Damit erreicht man so ganz nebenher eine nächste Stufe auf der Qualitätsleiter zu einem guten (Makro-)Fotografen... :-).

Du schreibst:

"Jeder kann der Natur helfen - auf seine Art. Auf vielen Wegen. Auch mit kleinen Handlungen."

Die größte Hilfe liegt darin, aufzuhören, ihr zu schaden, sie zu zerstören. Denn letztendlich gilt der bekannte Grundsatz: Die Natur braucht uns nicht, aber wir brauchen die Natur. Die Natur funktioniert also auch ohne unsere Hilfe. Wir müssen sie nur in Ruhe lassen und sie achten. Und da gebe ich Dir absolut Recht: Jeder "... auf seine Art [...]. Auch mit kleinen Handlungen."

Lieber Gruß,

Roland

(*) – Hierzu würden mich Meinungen, Einschätzungen, vielleicht sogar Gefühle unserer User und/oder Gäste sehr interessieren. Also wenn dazu jemand etwas aus seiner Sicht schreiben möchte: Feuer frei!

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MOD

Hallo Roland,

das geht sehr zu Herzen!!! Deine Bilder zeigen den gemalten Tod. Das erschüttert zutiefst.

Ich war gestern im forstbotanischen Garten in Hann.Münden unterwegs. Da bot sich mir das gleiche Bild. Große ,alte Rhododendren mit abgestorbenen Blättern und ohne Knospenansatz. Die werden im nächsten Jahr ganz abgestorben sein. Auch die uralten Bäume leiden arg. Es scheint, dass das Leben hier zum Stillstand gekommen ist. Insekten sind nur ganz wenige unterwegs. Wo sollen sie auch hin?

Hier im Wald sterben die Fichten. Und was mich am meisten berührt, sind Aussagen von Menschen, die sich  diese Hitze noch länger wünschen. Wegen Grillabenden und Südfeeling.Nachdenken ist nicht jedem gegeben. Wir haben diese schöne Natur nicht verdient und sie uns wirklich auch nicht. TRAURIG!

Trauriger Gruß

von Gabi

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ADMIN

Wie auf der Titanic?

Hallo Gabi,

interessant, dass es anscheinend nicht nur mir so geht. Mir geht es den gesamten Sommer über schon langsam richtig auf den Geist, dass, sobald ich das Radio anschalte, sofort Freudenergüsse darüber zu hören sind, dass wieder einmal Freibad- oder Grillwetter ist. Die Menschen werden von diesen Dumpfköpfen auch noch dazu aufgefordert, unreflektiert den Geist der "Party-Gesellschaft" auszuleben. Wenn da nicht mal irgendeiner anfängt nachzudenken... Oder wird das nie passieren?

Hier wird das klassische Prinzip der Verdrängung gelebt. Klar, Verdrängung ist eine überlebenswichtige "Einrichtung" der Natur für uns Menschen, mit Leid und Schmerz umzugehen. Gäben wir uns davon zu viel auf einmal, kollabiert unser System. Das ist in bestimmten Situationen nicht überlebensförderlich.

Ist es so eine Art Verdrängung, wie sie der Legende nach beim Untergang der Titanic seitens der Bordkapelle sehr augenscheinlich vollzogen wurde, indem sie auf dem untergehenden Schiff weiterspielte?
Nein, eher nicht, denn die Spieler sahen wohl so ganz alleine da draußen auf dem weiten Meer, Aug in Aug mit einem riesigen Eisberg, der die Bordwand aufgeschlitzt hatte, keine Chance auf einen Ausweg.

Wir können aber noch handeln – und wenn dieses Handeln ausschließlich darin bestünde, mit dem aktiven Zerstörungs-Wahnsinn aufzuhören. Tun wir das? Nein! Wir fahren sehenden Auges auf die dicke Betonwand zu und tun so, als gäbe es sie nicht. Das ist nicht sinnvolle Verdrängung am richtigen Ort und zur richtigen Zeit gemäß der evulotiven Sinnhaftigkeit, sondern reine Dummheit. Und unsere Situation ist auch nicht ganz so aussichtslos wie seinerzeit auf der Titanic, als die Kapelle sich in den Tod spielte.

Genau diese Überzeugung macht sich jedesmal bei mir breit, wenn ich die grenzenlosen Freudenausdrücke der deutschen Griller (man mag glauben, das sind mindestens 80% der deutschen Bevölkerung!) oder Freibad-Junkies höre. Da sitzt man unter kaputtgehenden Bäumen, die krassest um Hilfe rufen, wendet frohgelaunt sein Schweinenacken-Steak, bis es ordentlich knusprig ist, und lobpreist – wie nennst Du es treffend? – das "Südfeeling".

Ohne Worte!

Lieber Gruß,

Roland

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Makronist

Hallo Roland, Mainecoon und Gabi,

ich habe aufmerksam diese Beiträge zum Thema "Hilferuf der Bäume" gelesen, nun könnte ich es mir einfach machen und darauf antworten- ich stimme allem voll und ganz zu derweil ich dieselbe Meinung dazu habe, so ist es auch letztendlich.

In den siebziger Jahren war ich zwei Jahre in der Forstwirtschaft tätig und habe da gelernt "die Bäume leben, können mit ihrer Sprache sprechen und sie leiden, wenns ihnen schlecht geht, oder müssen sterben unter den verschiedensten Folgen". Ja und dazu hast du Roland ein äußerst schmerzhaftes Beispiel gezeigt, wie dramatisch sich inzwischen die Situation der Umwelteinflüsse in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Ich kann nur sagen, sowas hab ich auch noch nicht gesehen. Jedem der einigermaßen was von den Kreisläufen der Natur versteht und begreift, müsste doch klar sein was da alles aus dem Ruder läuft.

Es ist einfach eine Gratwanderung der Gefühle für jeden Naturbegeisterten wenn man so wie du Roland es beschreibst vor so einem wohl sterbenden Baum steht, und doch genau weiß, was und auch wer insbesondere dafür die Schuld trägt. Und dieser Kastanienbaum ist kein Einzelfall sondern eher noch die Spitze des Eisbergs.  

Die Ursachen mit dem Oberbegriff "Klimawandel" sind auf vielen Baustellen zu finden, nur ein Beispiel dazu wäre der immens zugenommene Flugverkehr mit den sogenannten Billigflügen um die ganze Welt mit unabsehbaren Folgen für Klima und Umwelteinflüsse.Das setzt sich dann fort bis hin zum Konsumverhalten der Bevölkerung mit den wahnwitzigsten Auswüchsen.

Ich bin durchaus dafür wenn hier im Makrotreff solche verwandte Themen angesprochen und auch fotografisch dokumentiert werden. Im Gegensatz zu anderen Foren werden ja gerade hier besonders speziell Beispiele gezeigt vom aktuellen Stand der Blütenwelt Insekten usw. da ist es doch naheliegend  auch die Umweltthemen mit einzubeziehen.

In diesem Jahr ist mir insbesondere aufgefallen, dass es eine zeitliche Verschiebung gegeben hat bei den Obst und Beerengehölzen durch verfrühte Erntefristen. Zum Thema Insekten passiert bei mir im Garten grad eher das Gegenteil von dem was eigentlich sonst zu beobachten ist, nämlich ein vermehrtes Aufkommen verschiedener Spezies. Das hat aber damit zu tun weil ich mit allen möglichen Mitteln Schutz und Lebensräume für Insekten erweitert habe.

Wenn ich zum Thema der Bäumesterben was entdecke werde ich es gerne publizieren, vor Ort kann ich sagen, dass ich besonders gegen Umweltfrevler aktiv vorgehe die Gartenabfälle verbrennen und dadurch Insekten und umliegende Bäume ect. beschädigen.

Ich behaupte mal dass die aktiven Teilnehmer im Makrotreff mitsamt den Freunden und Unterstützern der Natur und Umwelt auf derselben Linie sich befinden, bloß was tun all die andern Schlauberger, denen solche Themen völlig wurscht sind, haben die alle kein Gewissen?

Viele Grüße Sigi      

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ADMIN

Die Sprache der Bäume

Hallo Sigi,

die "Sprache" der Bäume ist sehr interessant. Versteht man sie, erhält man sehr viele Informationen von den Bäumen selbst.
Natürlich ging es Bäumen insbesondere individuell schon immer mal schlecht, was sie dann auch gezeigt haben. Trockenheit gehörte schon immer dazu, war aber in der Regel räumlich oder zeitlich begrenzt. Jetzt kommen aber einige Faktoren zusammen, die lebende Systeme schon arg in die Knie zwingen; neben Trockenheit und Hitze schwächen starke Einstrahlung (UV-Anteil im Licht), toxische Stoffe insbesondere aus der Landwirtschaft (die mit Bodenwasser oder Luft transportiert werden) und allgemeine Luftverschmutzungen die Pflanzen aber zusätzlich. Nun kommt alles zusammen. Es ist nicht anders als bei uns Menschen: Ein beispielsweise als Folge schlechter Ernährung geschwächter Mensch ist empfänglicher für starke Temperaturausschläge, umhergeisternde Bakterien oder sonst was. Systeme halten eine Menge aus, können sich in der Regel über sogenannte Rückkopplungsschleifen selbst erfolgreich organisieren (und damit auch schützen) – bis zu einem bestimmten Belastungspunkt. Dann ist der Ofen aus.

Ein Beispiel

Nehmen wir ein Beispiel wieder aus dem "System" Baum: Ein Baum wirft, wenn die zweite Sommerhälfte überdurchschnittlich trocken ist, vorzeitig seine Blätter ab. Dies ist eine Rückkopplungsreaktion auf die Trockenheit: Ich erhalte kein Wasser mehr von außen, also verdunste ich auch keines mehr über meine Blätter! Der Baum zieht im Prinzip den Herbst vor, klappt die Fensterläden zu und macht schon mal einen auf Winter. Im kommenden Frühjahr ist wieder genügend Wasser da, der Baum treibt aus – alles gut! Er hat sich über die Rückkopplung (wenig Wasser da, also eigene Verdunstung einschränken bis beenden) im Herbst rechtzeitig vor weiteren Schäden geschützt. So reagiert das System "Baum" auf Belastungen.

Wenn Bäume in die Knie gehen

Nun hat das Ganze natürlich seine Grenzen. Die sind beispielsweise erreicht, wenn zusätzlich zum Ende des Sommers der Baum bereits über viele Wochen hinweg eine Hammer-Strahlung verkraften musste, eine Mega-Hitze (gegebenenfalls mit direkten Verbrennungsschäden) ertrug und in seinem Körper eine Menge von Giftstoffen organisieren muss. Nun kommt dieser Baum ebenfalls am Ende eines trockenen Sommers an den Punkt der (positiven) Rückkopplung, die ihn dazu befähigt, infolge Wassermangels seine Blätter vorzeitig abzuwerfen. Jetzt aber kommt die Gesamtschwächung zum tragen: Das System (Baum) weiß, es ist insgesamt so stark geschwächt, dass die alleinige Regulation des Engpasses "Trockenheit" über den Blattabwurf nicht mehr zu kompensieren ist. Der Baum weiß, er hat insgesamt zu viel abbekommen. Die Gefahr, dass die normalerweise regulierende Rückkopplung nicht mehr ausreicht, ist sehr groß – und damit die Gefahr, dass er stirbt. Dann hilft nur noch Plan B: eine Notblüte anzusetzen. Genau das ist zur Zeit verstärkt zu beobachten.

Und dieses "verstärkt" ist der entscheidende Punkt. Aufgrund regional oder zeitlich eingegrenzter Ereignisse wurde das oben Beschriebene schon immer beobachtet – ist ja auch klar, ist ja schließlich eine "normale" Reaktion des Systems "Baum".

[Anmerkung: Hier nenne ich wiederholt das Lebewesen Baum absichtlich etwas abstrakt System, um die regulierenden Funktionsweisen dieser Systeme zu verdeutlichen. Das Gleiche trifft nämlich auf alle Systeme zu, so beispielsweise auch auf komplette Ökosysteme – hier kann man zur Zeit ähnliche Reaktionen beobachten (wenn man sie zu lesen weiß)!]

Nun muss man zwingend interpretieren, warum, wann, wo, wie und wieviele Bäume diese Reaktionen zeigen. Dann wird man schnell feststellen, dass die Charakteristik der zur Zeit zu beobachtenden Pflanzenreaktionen überhaupt nichts gemein hat mit dem, was es schon immer gab. Hierzu muss man allerdings ein wenig Ahnung haben und die "Sprache" der Bäume verstehen – oder allgemein ausgedrückt: die Natur lesen können.

Es ist wunderbar, dass Du das während Deiner Tätigkeit in der Forstwirtschaft gelernt hast.

Lieber Gruß,

Roland

Profile picture for user Sigi Weyrauch
Makronist

Hallo Roland,

ich kann deinen Ausführungen voll und ganz folgen- spannend und zugleich ernüchternd für mich ist tatsächlich die wie du erwähnst von vielen negativen Einflüssen begleiteten Auswirkungen im gesamten Ökosystem.

Zur Zeit meiner Arbeit in der Forstwirtschaft war ich 18 Lenze alt, inzwischen sind es 72, so und einen  Großteil der derzeit gepflanzten Bäume und auch in den Schonungen geförderten Baumarten kann ich Heute besuchen und die erfreuen sich bester Gesundheit "noch". Wie du schon eindrucksvoll beschreibst bedarf es einiger Kenntniß bzw. speziellem Wissen um das zu verstehen was uns die Bäume und andere Pflanzen sagen wollen, deswegen teile ich auch absolut die Ermahnungen aller Forscher und Naturliebhabe,r die mit dem erhobenen Zeigefinger oder geballter Faust auf die Veränderungen hinweisen, es gilt halt einfach nicht innezuhalten und weiterhin die Augen offen zu halten, dazu können wir mit den fotografischen Dokumenten beitragen.

Lieber Gruß Sigi  . 

Profile picture for user Erich Müller

Hallo Zusammen,

Es ist schon ein Graus wenn man sich unsere Natur anschaut, Ende vorigen Jahres regnet es fast ununterbrochen, der Boden ist so aufgeweicht, das die Hänge rutschen, Bäume umkippen,  weil der Boden keinen Halt gibt, dann Stürme, die ganze Schneißen in die Wälder wehen, dann ein zu trockenes Frühjahr, das in einen Sommer übergeht, in dem es noch wochenlang keinen Regen gibt, und wenn dann nur gewittrige Starkregen, der ausser Überschwemmungen nicht viel bringt, denn das Wasser kann gar nicht richtig in den Boden einsickern, und der Regen kommt auch nur Regional. Es Donnert und blitzt, aber bei uns hier fällt kein Tropfen, und wenn in den letzten Tagen mal Regen kommt, ist er schnell verdunstet. 

Ja diese Dauerhitze hat der Natur ganz mächtig zugesetzt, die Bäume werfen nicht nur ihr Blattwerk ab, sondern manche sogar ihre Äste, die der Obstbäume brechen, weil sie vollhängen, und durch die Trockenheit nicht mehr das Astwerk halten können.

Aber auch die Zuckerrüben lassen ihre Blätter hängen, und der Mais sah auch ziemlich schlecht aus, vor ein paar Tagen hat man ihn abgemacht.     

Wenn man so in die Landschaft schaut, und die vertrockneten Wiesen und Rasenflächen sieht, ist das ein sehr unschönes Bild. Ganz zu Schweigen von den ausgetrockneten Flüssen, und Seen, der Edersee, der ganz iin unserer Nähe ist, hat so wenig Wasser, das er keines mehr für die Flüsse Eder, Fulda und schließen die Weser (für deren Wasserregulierung damals  die Sperrmauer gebaut wurde) abgeben kann.

Und stellt man sich vor, das so etwas die Regel werden kann, dann kommt einem das Grauen. 

Aber ruhig als die Pestizide auf die Felder, und ab mit dem "Unkraut", damit nur kein Insekt, kein Vogel oder sonstiges Geriet einen Lebensraum und Nahrung findet. Den Minister, der das damals quasi  im Alleingang entschieden hat, das diese Gift weiter verwendet werden kann, sollte man absetzen.

Ja, es tut sich was, wenn man den Tageszeitungen glauben darf, aber es geht nicht schnell genug, nein es hätte schön viel viel früher was getan werden müssen, aber zuerst muss das Kind in den Brunnen fallen, wie das Sprichwort sagt, bevor was getan wird. 

Liebe Grüße 

Erich                

 

Profile picture for user Sven
Erstellt von Martina Kläger (nicht überprüft) on Sa., 01/12/2018 - 07:29 Permalink

Bei Erdbeeren, die Dank des Klimawandels im Herbst eine zweite Ernte ermöglichen, spricht man nicht von Notblüte. Warum dann bei Bäumen? Danke für die Beobachtung von sich regenerierenden Systemen.

Profile picture for user Roland

ADMIN

Wertfreiheit

Hallo Martina,

kurz gesagt: Weil über alldem die Bewertung des Menschen steht.

Ein sehr interessanter Aspekt, den Du hier ansprichst.

Differenzieren wir die ganze Sache mal.

Die Kastanie

Die Folge der oben gezeigten und beschriebenen zweiten Blüte (ich nenne es in diesem Zusammenhang nicht wertend Notblüte) der Kastanie ist wahrscheinlich das Absterben des Baumes, bestenfalls eine deutliche Schwächung im kommenden Jahr aufgrund des Absterbens von Kronenteilen und/oder ein Ausfallen des Blüh- und damit Fruchtansatzes für mindestens ein Jahr.

Die Erdbeere

Die Folge bei den von Dir genannten Erdbeeren ist eine zweite Frucht – wahrscheinlich begleitet und begünstigt durch menschliches Hinzutun (Zuchtformen, Düngung, Wässerung, Abwehr von Schadeinflüssen), denn ich vermute mal, Du sprichst von kultivierten Zuchterdbeeren. Der Menschen neigt aus seiner anthropozentrischen Haltung heraus zu der Sichtweise, dies als gut zu empfinden ("zweite Ernte möglich").

Aus der gleichen Sichtweise resultiert das wertende Wort Notblüte. Im ersten Schritt scheint hier zwar tatsächlich eine Not vorzuliegen; die Kastanie hat schließlich in der Tat ein Überlebensproblem. Also auch aus ihrer auf sich bezogenen Sicht ist hier etwas Bedrohliches im Gange.

Die übergeordnete Betrachtung

Treten aber sowohl der Mensch als auch die Kastanie einen Schritt zurück (hm, bei mir können Kastanien einen Schritt zurücktreten :-)), könnte sich auch eine wertfreie Sicht dieser gesamten Situation ergeben – die Sicht einer Neuordung: Die Erdbeeren blühen und fruchten rascher, die Kastanie weicht einer anderen Lebensform, vielleicht einem Baum, der besser mit den veränderten Gegebenheiten zurecht kommt.

Nur: Wenn man seine Sichtweise einer solchen Wertfreiheit unterstellt, muss man auch den Menschen und damit sich selbst mit einbeziehen. Denn wir sind ein Teil dieses Systems, und damit auch ein Teil der in Gang gesetzten großen und raschen Neuordung, an deren Ende gegebenenfalls der Mensch einer anderen Lebensform weichen muss und wird.

Lieber Gruß

Roland

 

Profile picture for user Rob
Makronist

Hallo Roland,

ich sehe den Beitrag erst jetzt und bin sehr berührt. Danke für die detailreichen Informationen über die Systeme, Zusammenhänge und Beschreibung des "Hilferufs" des Ökosystems. Vielleicht rufen viele Pflanzen und Tiere tatsächlich laut nach Hilfe und uns marschierende Affen deutlich dazu auf, uns zu ändern. Ich schätze, dass dies jedoch nur zusammen, friedlich und gerecht gehen wird, denn sonst sind wir Menschen oft nicht bereit dazu, uns als Teil des Ganzen zu sehen. Dennoch beginnt es beim Einzelnen und jede Handlung ist auch relevant und kann andere Menschen inspirieren. Eigentlich ist es ja offenkundig, dass intakte Ökosystem auf allen möglichen Ebenen vorteilhaft für alle Menschen zugleich und zusammen sind. Rauskaufen kann sich hier keiner ;-)

Ich komme gerade aus den Lechauen. Dieser Auwald mit Heidelandschaften am Lech ist in meinen Augen schon ein Ort, wo die Natur, wenigstens noch Möglichkeiten hat, Änderungen etwas auszugleichen und zu kompensieren. Trotzdem stand ich heute verwundert vor einem Schlehdorn mit Früchten und Blüten. Ich war so verdutzt, dass ich kein Foto davon machen konnte. Bei uns war es nicht so schlimm trocken und der Fluss hatte fast den ganzen Sommer grob ausreichend Wasser. Die Schlehe wird den Winter überleben, die Notblüte war eher schwach, aber auch so hat die Pflanze bereits ihre Botschaft abgesetzt. Ich habe sie gehört, komme nach Hause und durch deinen Beitrag wir es mir viel klarer, was sie genau sagen wollte. Dank dir!

Direkt neben der Schlehe habe ich jedoch an einer Lechminze eine Gebänderte Heidelibelle gesehen und mich hat heute diese (erneute) Begegnung trotz allem gefreut. Die Libelle ist selten und ich vermute, dass sie sich in diesem Habitat halten kann, vielleicht sogar von hier aus wieder andere Plätze erkunden und besiedeln wird. Wer weis? Die Zukunft ist noch nicht geschrieben und trotz der wirklich extremen Eingriffe der Menschen, will das Leben immer noch das Leben erhalten in der Natur. Wir fallen schon ziemlich aus dem Muster (warum eigentlich?) und bekommen wohl noch deutlichere Zeichen von Mutter Natur zu sehen, zu riechen, zu schmecken, zu fühlen und zu hören. Ich finde, dass sich der Donner anders anhört als früher. Die Erde hat Bauchschmerzen.

Bei den Extremwetterlagen, die zunehmen, denke ich oft an die tapferen Tier und Pflanzen da draußen. Wir sitzen mit Dach über dem Kopf auf gepolsterten Sitzen und denken wohl selten daran, wie es sich in der Natur lebt. Klar, die menschlichen Errungenschaften geben uns wohl ein Gefühl, die Dinge durch Technik irgendwie im Griff zu haben. Die Dinge haben wir manchmal im Griff aber Ökosysteme sind halt keine Dinge, sondern Dauerprozesse mit Intelligenz im Feld. Manche meinen, wir können uns auf einen anderen Planeten retten. Vielleicht ist das sogar in begrenzen Umfang so, aber ohne Bienen und Blumen hätte ich jedenfalls keine Lust ;-) Wir bleiben trotzdem heiter, denn wir sind noch da und haben keine andere Möglichkeit, als von hier aus los zu laufen. Dein Aufruf, die Botschaften der Natur öffentlich zu teilen ist sehr angebracht!

Danke & herzliche Grüße

Rob

PS: Ggf. spielt eine Vor-Schwächung durch die Miniermotten eine kleine Rolle, da es auch bedingt durch den Klimawandel zu (noch) mehr Generationen im Jahr kommen kann. Trotzdem ist wohl die extreme Hitze, Trockenheit und die ruckartigen Wetterwechsel ausschlaggebend für die Disharmonie, die deine Bilder eindrucksvoll zeigen.

 

 

Profile picture for user Roland

ADMIN

Hallo Rob,

Du schilderst eine interessante Beobachtung, ein interessantes Erlebnis aus den Lechauen. Ich habe in den letzten Tagen auch wieder mehrere "Notblüten" gesehen.

Du schreibst : "Wir bleiben trotzdem heiter,...". Mir (!) gelingt es nicht immer, heiter zu bleiben. Das ist auch nicht mein Ziel. Gibt es Gründe, heiter zu sein, bin ich heiter. Gibt es Gründe zu trauern, trauere ich.

Liebe Grüße

Roland

Profile picture for user Rob
Makronist

Hallo Roland,

danke für deine Antwort! Eine Beobachtung, die ich auch zunehmend machen musste ist, dass durch lange Trockenheit und darauf folgende starke, schlagartige Regenfälle und Chemie im Regen, schnell wachsende Gras-Arten, heimische Wildpflanzen unterdrücken und dadurch die Vielfalt an Tieren und Pflanzen zurück geht. Mich macht das schon auch alles traurig. Ich finde es auch wichtig, das zu zulassen (bin da schon bei dir), aber manchmal habe ich das zu lange getan. Wenn mir der Fuss weh tut, halte ich ihn ruhiger und er wird schneller besser. Du transportierst eine traurige Botschaft und ja, das soll auch weh tun, damit wir uns kümmern und zwar so wie um unseren eigenen Fuss. In der Summe ist das in meinen Augen wiederum etwas Positives, denn deine "Übersetzungen" der Sprache der Natur sind wertvoll, quasi, dass was gesagt werden muss. Einige Gewissheiten klopfen nicht nur an die Tür, sie treten sie ein.

Schöne Grüße

Rob

Profile picture for user Thomi
Makronist

Lieber Roland

Dein Text und mit ihm deine Beobachtungen machen auch mich nachdenklich und traurig.

Auch ich habe schon einige „Notblühten“ beobachten können.

Während meiner Zeit in der ich mit „Holzenergie“ zu tun hatte, konnte ich leider immer wieder beobachten, wie es beim „Baumernten“ zu und her ging. Dabei stand vor allem der Baum als Nutzholz im Zentrum. Bodenbelastungen oder die Schädigung des Unterholzes waren kaum ein Thema. Wenn man weiss, dass der Baum von seinem Pilz gegenseitig profitiert, so verwundert es mich nicht, dass bei den hohen Bodenbelastungen der Ernte- Maschinen das Pilz-Mykorrhiza in Leidenschaft gezogen wird.

Pilze versorgen die Bäume mit Nährstoffen wie Wasser, Stickstoff und Nährsalzen, besonders in der trockenen Jahreszeit. Dafür leben Pilze und Bäume in einer Symbiose. Ist die gestört, so leiden die Bäume massiv.

Liebe Grüsse, Thomi

N.B. Die Bücher von Peter Wohlleben sollten für zukünftige Forstleute zur Pflichtlektüre gehören.

Profile picture for user Roland

ADMIN

Hallo Thomi,

hier sprichst Du ein großes Thema an. Ja, es gibt eine Menge Faktoren, die Pflanzen (und natürlich auch Tiere) stressen, nicht nur Trockenheit und Hitze. Bei unseren Wäldern nennst Du beispielhaft Bodenbelastungen (z.B. Eintrag von Stoffen, Bodenverdichtung usw.) und die Waldstruktur („Schädigung des Unterholzes“). Jeder Punkt stellt bereits für sich häufig eine mehr oder weniger hohe Belastung für viele Lebewesen dar.

Wie geht die Wissenschaft damit um?

Unsere Wissenschaft ist in der Regel so aufgestellt, dass sie die Folgen von Belastungen isoliert untersucht. So wird beispielsweise die Auswirkung von schweren Maschinen auf Waldböden untersucht, oder der Bodeneintrag von Schadstoff X bei der chemischen Bekämpfung des Falters Y in Eichenwäldern. Diese Untersuchungen liefern – jede für sich – ein bestimmtes Ergebnis. Nicht aber wird untersucht, was passiert, wenn beide Faktoren zusammentreffen – wie sich also der Schadstoff X in einem verdichteten Boden eines Eichenwaldes verhält. Hier wäre das Ergebnis vielleicht völlig anders als bei der isolierten Betrachtung.

Der Cocktail

Kommen nun weitere Faktoren wie Wassermangel (kurzfristig infolge wochenlanger Trockenheit sowie langfristige Grundwassersenkung), hohe Temperaturen weit über 30 Grad Celsius über viele aufeinanderfolgende Tage (so etwas „kennen“ unsere Ökosysteme nicht!) und waldschädigende Bewirtschaftungsform durch schematische, nicht ökosystemgerechte Baum- und Totholzentnahme (Bäume lässt man nicht mehr alt werden, der Wald wird ordnungsgemäß „aufgeräumt“), dann sprechen wir von einem sogenannten Einfluss-Cocktail. Hierbei passiert es sehr häufig, dass sich die negativen Einflüsse gegenseitig verstärken. So etwas untersuchen wir nicht!

Wir sind mit uns selbst nicht "besser"...

Interessant: Im medizinischen Bereich gehen wir mit uns selbst auch so um. Nebenwirkungen von Tabletten beispielsweise werden fast immer „isoliert“ untersucht, dass heißt unter den Bedingungen, die herrschen, wenn der Patient ausschließlich dieses jeweilige Medikament zu sich nimmt. Die meisten Nebenwirkungen fallen aber ganz anders aus, wenn gleichzeitig viele weitere Tablettenarten – ein Tabletten-Cocktail – eingenommen wird. Dann potenzieren sich häufig die bei Einzeleinnahme des jeweiligen Medikaments festgestellten Nebenwirkungen – und zwar bei jedem der unterschiedlichen Medikamente! Dies ist die Folge von Wechselbeziehungen.

Durchbrochene Rückkopplungsschleifen

Genau das passiert aktuell mit den Ökosystemen der Erde. Ökosysteme entwickeln sich über Jahrmillionen. Sie haben „gelernt“, in einem gewissen Rahmen mit schwankenden negative Systemparametern umzugehen. Sogenannte Rückkopplungsschleifen („Feedbackschleifen“) beispielsweise gleichen solche negative Schwankungen aus; so reguliert sich ein Ökosystem selbst (vereinfachte Darstellung). Diese Selbstregulation funktioniert dann nicht mehr, wenn so viele Parameter nachteilig geändert werden, dass die Rückkopplungsschleifen nicht mehr greifen. Ab dann geht´s abwärts mit dem Ökosystem. Da stehen wir heute – bei fast allen Ökosystemen der Erde!

Wie innen, so außen

Hier bestätigt sich wohl wieder der (psychologische) Grundsatz:

So, wie der Mensch mit sich selbst umgeht, geht er auch mit der ihn umgebenden Natur um.

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Makronist

Hallo Roland

Besten Dank für Deine ausführliche Antwort!

Etwas das mich auch beunruhigt und über das sich kaum jemand Gedanken macht ist folgendes.

Bei uns in der Gegend sind verschiedene Bäche seit diesem Sommer ausgetrocknet. An einem dieser Bäche befindet sich die Einleitung einer Kläranlage (Abwasserreinigungsanlage 3-Stufig).

Der Chemie-Cocktail der sich in dieses eigentlich ausgetrocknete Bachbett ergiesst wirkt sich für das schon geschwächte Ökosystem katastrophal aus.

Ich selber habe noch nie verstanden dass man den „Schmutz“ zuerst dem Abwasser übergibt, dann aber mit hohem Aufwand und Kosten versucht ihn wieder zu entfernen (was natürlich nicht gelingt). - Was für ein Wahnsinn...

Deine Anregung mit Fotos die Öffentlichkeit aufzurütteln finde ich sehr gut. Meine Erfahrung ist die, dass unsere Medien immer noch lieber die „schönen“ Bilder zeigen und keine die zum Nachdenken anregen.

Liebe Grüsse

Thomi


 

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Makronist

Hallo Roland,

ich habe Deinen Hilferuf-Artikel schon vor einiger Zeit gelesen, diesen anfänglich für einen aktuellen gehalten. Nachdem ich das Publikationsdatum gesehen habe, und der Meinung war, dass alles gesagt wurde, habe ich auf einen weiteren Kommentar verzichtet.

Heute, 18.09.2022, bin ich auf das Update gestoßen. Da trifft es sich gut, dass ebenfalls heute ein höchst interessanter Beitrag im BR-Fernsehen, mit dem Titel "Bayerns Bächen geht die Luft aus" gelaufen ist, den Link zur Mediathek füge ich bei.

https://www.br.de/mediathek/video/gut-zu-wissen-doku-bayerns-baechen-ge…

Ich war entsetzt, wie tiefgreifend mittlerweile die menschengemachte Beeinflussung unserer Ökosysteme geht. Selbst am Oberlauf naturbelassener Waldbäche, sowie in deren Quellbereiche, sind dramatische Entwicklungen zu beobachten, im Film am Beispiel des Mähringsbaches bei Rehau beschrieben.

Auch der Einfluss von Sand- und Schlammeintrag in Bäche, wodurch die Sauerstoffdurchlüftung der kieslastigen Gewässergründe nachhaltig und nachteilig beeinflusst wird, ist als sehr bedenklich zu betrachten. Auch die Thematik der Entwässerung von Feuchtgebieten zugunsten landwirtschaftlicher Nutzung wird behandelt. Die genannten Parameter sind sicher nur einige, die dazu beitragen, dass Ökoysteme in kurzer Zeit kippen.

Bleibt die Frage zu stellen, wie der Zustand unserer gesamten Flusssysteme ganzheitlich zu bewerten ist, wenn schon an den Quellen von Waldbächen Entwicklungen zu beobachten sind, die als vollständig oder nahezu unumkehrbar erscheinen.

Der oben verlinkte Film ist wirklich jedem Naturinteressierten ans Herz zu legen. Natürlich auch den Ignoranten.

Ich fürchte, zu einer Generation zu gehören, die sich spätestens von ihren Enkeln vorwerfen lassen muss: "Leute, ihr habt's gründlich verkackt!"

Liebe Grüße

Reinhard

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ADMIN

Hallo Reinhard,

bereits seit vielen Jahrzehnten fressen sich Menschen in so gut wie alle Ökosysteme der Erde hinein und zerstören sie – trotz aller Warnungen, die zu jeder Zeit von Wissenschaftlern kamen. Nun brechen die Ökosysteme zusammen. Ist das verwunderlich? Nein, es ist logisch, denn hier greifen ganz schlichte Ursache-Wirkungs-Prinzipien.

Liebe Grüße 

Roland

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Erstellt von Sabine Kiel (nicht überprüft) on Fr., 11/11/2022 - 08:15 Permalink

Guten Morgen, Roland, 

mit großem Interesse habe ich deine Texte gelesen, weil ich auf der Suche war… gefühlsmäßig hab ich mir das alles schon denken können… habe die Natur gut im Auge und muss auch in unserem Garten seit einigen Jahren ungewohnte Phänomene wahrnehmen… wie auch die winzigen kleinen Dolden mit wenigen Blüten am Flieder - jetzt, Anfang November. Im ersten Moment ein wunderbares, dann - denke ich - ein trauriges Bild… ich denke, auch hierbei handelt es sich um „Notblüten“ - oder?

Liebe Grüße, Sabine

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ADMIN

Klima-Veränderungen und ihre Folgen für Pflanzen und Tiere

Guten Morgen Sabine,

ja, das, was Du bei Dir beobachtest, deutet darauf hin, dass etwas nicht wirklich passt. Man könnte wohl sagen: "Die Natur ist momentan etwas verwirrt".

Es ist natürlich nicht ungewöhnlich, dass manche Stauden lange im Jahr blühen, wenn es bis in den Winter hinein mild und vor allem frostfrei bleibt. So kenne ich es seit vielen Jahren beispielsweise beim Blutroten Storchschnabel (Geranium sanguineum) oder bei der Kartäusernelke (Dianthus carthusianorum); sie treiben je nach Witterungsverlauf bis zum Jahresende noch vereinzelt Blüten.
Diese Fähigkeit ist aus Sicht der Pflanzen eine tolle Anpassungsmöglichkeit an Witterungsschwankungen, weil sie dann noch die späten Wochen/Monate im Jahr nutzen können, um gegebenenfalls weitere Früchte zu bilden. Denn bei milden Temperaturen fliegen auch einige bestäubende Insekten noch recht lange und finden dann auf diesen Blüten Nahrung.

Anders sieht das aus bei eindeutig definierten Blüh- bzw. Aktivitätsphasen von Pflanzen oder Tieren. Eine Kastanie beispielsweise blüht in einem engen Zeitfenster im Frühjahr – und dann ist Schluss. Schiebt sie nochmals spät im Jahr Blüten, ist dies nicht das Ergebnis eine "Verlängerung" ihres Blühprogramms, sondern vielmehr eine regelrechte Fehlschaltung infolge äußerer Umstände. Hier wird also ein eigentlich festgezurrtes Programm ordentlich durcheinandergewirbelt.

Ähnlich ist es bei vielen Tieren. Bei mir sind beispielsweise Mitte Oktober Sandbienen – und zwar Andrena cineraria – geschlüpft. Hierbei handelt es sich um ausgesprochene Frühlingsbienen, die normalerweise im April/Mai schlüpfen, ihre Nahrung auf den zu diesem Zeitpunkt blühenden Pflanzen wie z.B. Obstbäumen aufnehmen und im Boden ihre Nester bauen. Die im Oktober geschlüpften Bienen "sollten" eigentlich erst im kommenden April schlüpfen. Jetzt im Oktober fanden sie natürlich keine Nahrung. Und selbst, wenn sie Nahrung gefunden hätten, reicht das Zeitfenster nicht mehr aus, um Nester zu graben und erfolgreich zu versorgen. Sie sind verhungert.

Solche Fälle gibt es wohl immer wieder. Witterung ist dynamisch, und viele Tiere und Pflanzen können darauf reagieren, was ihnen die Möglichkeit gibt, eventuelle Vorteile daraus zu ziehen. Auf solche Weisen entstehen auch genetische Anpassungen an die Umwelt, was ein wichtiger Bestandteil der Evolutions-Dynamik ist. Aber in diesem Kontext sind das Einzelfälle. Passiert dies in größerem oder sogar großen Stil, dann sind die Veränderungen so stark, dass sie für Arten bzw. für deren Fortbestehen problematisch werden können; das Zusammenleben der Arten mit- und untereinander (z.B. Tier-Pflanzen-Interaktionen) in Ökosystemen wird durcheinandergewirbelt. Die Frage hierbei ist:

Wieviel vertragen unsere (ohnehin bereits stark lädierten) Ökosysteme?

Liebe Grüße 

Roland

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Hallo, Roland,

lieben Dank für deine ausführliche Antwort. Ja, diese „Verwirrtheit“ ist klar offensichtlich und letztendlich im Tierreich mehr als fatal. Und die große Frage, was hält unser Ökosystem wie lange aus - eine Frage, die uns allen Angst machen sollte… 
Solche Blüten machen daher nach erstem Erstaunen so traurig und hilflos…

nochmals danke dir.

 

Liebe Grüße aus der Kölner Bucht,
Sabine

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